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Wohnraum in Mainz ist knappes Gut – Eine sensor-Analyse


Text: Ejo Eckerle, Fotos: Daniel Rettig

Wohnraum in Mainz ist teuer – und wird es auch auf lange Sicht bleiben, wenn sich die Politik nicht bewegt.
Scheich sein, das wär‘s. Wenn einen dann die Geschäfte nach Mainz führten, müsste man nicht mehr in der schnöden Präsidentensuite des Hyatt Regency logieren, sondern könnte für sich und seine Entourage schnell mal nebenan im Winterhafen zwei Penthäuser für je eine Million Euro erstehen. Ist doch gleich viel wohnlicher. 400 Quadratmeter mit unverbautem Rheinblick. Der unbekannte Wüstensohn zählt jetzt zu den Eigentümern der neuen Toplage. 137 Wohnungen der oberen Preisklasse werden dort bis 2014 hochgezogen. Und schon jetzt vermeldet die Vermarktungsgesellschaft „Corpus Sireo“: Der Verkauf ist abgeschlossen! Wer nicht ganz so viel wie ein Ölprinz auf den Tisch legen kann, tut sich in Mainz deutlich schwerer. Ruth P., alleinerziehend und Mutter einer fünfjährigen Tochter, sucht eine Wohnung. Nichts Ausgefallenes: drei Zimmer, wenn‘s geht mit Balkon. Das Ganze für maximal 800 Euro warm. Doch Ruth hat schlechte Karten. Obwohl die 34-Jährige über ein gutes Einkommen verfügt, wird sie schon bei der Wohnungsbesichtigung von den meisten Maklern aussortiert. „Die normalen Vermieter wollen am liebsten das Doppelverdiener- Pärchen oder vermieten an eine Dreier-Studenten-WG.“ Nur zu gerne würde sie in der Neustadt wohnen bleiben. In diesem begehrten Viertel sei fast nichts mehr unter 10 bis 11 Euro den Quadratmeter zu finden, sagt sie. Ruth P. sucht also weiter. Ein Jahr dauert ihre Odyssee durch den leergefegten Mainzer Immobilienmarkt schon. Daran ändern auch die zahlreichen Neubauprojekte in der Stadt nichts. „Für die junge Erzieherin, nach denen in Mainz händeringend gesucht wird, ist ebenso wie für den jungen Polizisten eine Dreizimmerwohnung kaum noch erschwinglich. Wir brauchen ein größeres Angebot an bezahlbarem Wohnraum“, hat es OB Michael Ebling auf den Punkt gebracht, als er noch Kandidat für das Amt an der Stadtspitze war. Seit Jahren kennen die Preise für das Wohnen in Mainz nur einen Weg: den nach oben. Allein 2011 stiegen die Mieten um durchschnittlich vier Prozent, noch stärker war der Preisanstieg beim Wohnungskauf. „Der Kaufpreis einer Neubauwohnung mit durchschnittlich 94 Quadratmetern Wohnfläche stieg ein weiteres Mal um sieben Prozent auf 2.907 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, dem Höchstwert seit Auswertung der Kaufpreise ab 1998“, stellt der Gutachterauschuss für Grundstückswerte in seinem Marktbericht für das Jahr 2012 fest.

Sozialwohnungen verschwinden weiter
Im Jahr 2012 hat sich die ohnehin schon angespannte Wohnungsmarktlage noch einmal verschärft. Der Grund: auslaufende Belegbindungen im sozialen Wohnungsbau. Derzeit gehen auf diese Weise zahlreiche günstige Wohnungen verloren. Dieser Substanzverlust wird sich auch die nächsten Jahre fortsetzen. „Bei einem Schnitt von 137 auslaufenden Wohnungen pro Jahr wird sich deren Anzahl von derzeit 5.600 Wohnungen bis zum Jahr 2030 auf 2.800 Wohnungen halbieren, falls keine Gegenmaßnahmen getroffen werden“, lautet die Analyse des Wohnraumversorgungskonzepts der Stadt Mainz. „Wenigstens behält die Wohnbau, wie etwa in Mombach, preiswerte wie geförderte Mietwohnungen noch in ihrem Bestand und veräußert die Flächen nicht für den Bau von Einfamilienhäusern, wie von manch anderer politischen Partei gewünscht“, sagt Klaus Trautmann, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Stadtratsfraktion. Die Zahl der verfügbaren Sozialwohnungen sinkt nicht nur, weil immer mehr Sozialwohnungen aus der Bindung laufen. Sie sinkt auch, weil immer mehr preisgebundene Wohnungen von Mietern bewohnt werden, die eine Subventionierung nicht mehr nötig haben. Denn wenn das Einkommen nachträglich steigt, können die Haushalte dennoch in der subventionierten Wohnung wohnen bleiben. Mit dem seit 2002 geltenden Wohnraumförderungsgesetz können die Städte ihre Wohnungspolitik stärker gestalten, wenn sie es wollen. Die Stadt Mainz hat jetzt ein 25-Punkte- Programm aufgestellt, das Anfang März in den Stadtrat eingebracht werden soll. Sozialdezernent Kurt Merkator hat eine wichtige Stellschraube daraus benannt. Er will eine Quote für geförderten Wohnraum in Neubaugebieten festschreiben. Hierzu müssten Investoren finanzielle Anreize geboten werden, damit sie sich auf jahrelang festgelegte Mietpreise einließen – aber diese Anreize können eigentlich nur vom Bund oder dem Land kommen.

Schweden auf Schnäppchenjagd
Der Preis ist also heiß und er beflügelt die Aktivitäten von zahlreichen Investoren. Längst haben finanzstarke Anleger den deutschen Wohnungsmarkt ins Visier genommen. Die kommen vor allem aus dem Ausland. Bevorzugt an attraktiven Standorten wie Berlin, Frankfurt oder München gehen sie auf Einkaufstour. Aber auch in Mainz hat ein Immobilienriese im vergangenen Jahr „im Vorbeigehen“ 110 Wohnungen auf einen Schlag erworben. Diese wanderten für eine unbekannte Summe in das Portfolio des schwedischen Wohnungsunternehmens Akelius, das inzwischen allein in Deutschland 13.000 Wohnungen sein eigen nennt.

Wenn der Nachbar 30 Prozent mehr zahlt….
Wie sich der Schweden-Deal auf die Mieter auswirken wird, ist noch nicht abzusehen. Akelius gilt zwar als Investor, der es weniger auf den schnellen Gewinn als vielmehr auf eine langfristige Perspektive abgesehen hat, aber es ist anzunehmen, dass er die Möglichkeiten des Mietrechts in vollem Umfang nutzt. Diese sind seit dem 1. Februar noch erweitert worden – zugunsten des Vermieters. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Franz-Georg Rips, von einem „schwarzen Tag für die Mieter“ spricht. Die beschlossene Senkung der Kappungsgrenze von 20 auf 15 Prozent zulässige Mietpreiserhöhung innerhalb von drei Jahren reicht da nach Ansicht des Deutschen Mieterbundes auch nicht aus, um dem Problem der drastisch steigenden Mieten in Großstädten zu begegnen. Die Grenze betrifft nur bestehende Mietverhältnisse. „Wir brauchen vor allem eine Begrenzung der Wiedervermietungsmieten. Nach einem Mieterwechsel müssen Mieter, die einen neuen Mietvertrag abschließen, häufig 20, 30 oder sogar 40 Prozent mehr zahlen als ihre Nachbarn im gleichen Haus. Das ist unerträglich, hier besteht Handlungsbedarf“, erklärte Rips.

Was tun? sensor befragt die Fraktionen im Stadtrat
Wie in vielen Großstädten setzt sich auch in Mainz der Trend zum innerstädtischen Wohnen immer weiter durch. Universität und Fachhochschulen sowie die guten Arbeitsmöglichkeiten im Rhein- Main-Gebiet führen dazu, dass Mainz einen permanenten Zuzug erlebt. Die Politik muss darauf reagieren. Worin bestehen die Lösungen? sensor hat alle im Stadtrat vertretenen Parteien um ihre Ideen gebeten. In der dicht bebauten Neustadt fordert die ÖDP die konsequente Umnutzung bereits bestehender Räumlichkeiten wie etwa der Kommissbrotbäckerei in der Rheinallee für Studierendenwohnungen. Vorrangig sollen innerstädtische Brachflächen für Wohnungsbau genutzt werden. Dazu zählten vor allem die Bundeswehrliegenschaften, die nach und nach geräumt werden. Auch die IBM-Fläche in der Oberstadt oder nicht mehr genutzte Flächen der Bahn kämen dafür infrage. Ein Plan, der auch die Unterstützung von Sylvia Köbler-Gross, der sozialpolitischen Sprecherin und ihres Kollegen Matthias Rösch, baupolitischer Sprecher der Grünen im Stadtrat, findet. Wenn Flächen wie etwa das Bundeswehrareal frei werden, gerät die Stadt allerdings in Konkurrenz mit Privatunternehmen. Ein neuer Wettstreit um das knappe Gut Wohnen kündigt sich an. Neue Wohnungen könnten auch in Gebieten entstehen, die bereits bebaut sind. Was unter dem Stichwort „Nachverdichtung“ propagiert wird, bedeutet: Es wird enger, wie etwa im Martin- Luther-King-Park. An diesem Vorhaben entzündet sich die Kritik von ÖDP und der Linken gleichermaßen. Während die ÖDP das Begehren für „unerträglich“ hält, stellt die Linke dazu fest: „Die von der Mainzer Baudezernentin seit Neuestem in den Fokus gerückte so genannte „Nachverdichtung“ stellt kein geeignetes Mittel zur Förderung sozialen Wohnraums dar. In der Regel führt dies dazu, dass private Investoren hochpreisigen Wohnraum für eine gut betuchte Klientel schaffen. Führen dann groß angelegte Neubauprojekte wie der Zollhafen zu einer Entspannung der Lage? Vordergründig ja, möchte man meinen. „Das Baurecht sieht die Schaffung von rund 1.400 neuen Wohnungen vor. Dies hilft uns durch Umzugsbewegungen in anderen Bereichen auf dem Mainzer Wohnungsmarkt, damit wieder Wohnungen für Familien mit mittleren und niedrigen Einkommen frei werden“, sagt Lars Kützing von der SPD. Damit erntet er Widerspruch von den Grünen: „Oft wird behauptet, dass die Schaffung von teurem Wohnraum bewirkt, dass die neuen Bewohner ihre bisherigen Wohnungen für Menschen mit geringen Einkommen freimachen. Dies soll zu einer Art Kettenreaktion führen, an deren Ende auch Wohnraum für Geringverdiener frei wird. Das Funktionieren dieser Theorie bezweifeln wir. Denn bei jeder Neuvermietung werden die Mieten meist stark erhöht.“

Hoffen auf Entspannung
Offenbar war der Jubel von SPD und Stadtspitze über die Schöner-Wohnen-Träume am Rheinufer dann aber doch etwas verfrüht. Noch im Dezember verkündeten OB Ebling und Baudezernentin Marianne Grosse: Alles in Butter! Alle Möglichkeiten, die das Baurecht hergebe, seien genutzt worden, um den erforderlichen Lärmschutz für die künftigen Wohnhäuser, die im Bereich der Nordmole entstehen sollen, zu gewährleisten. Der Bebauungsplan wurde offengelegt – das bedeutet, nun kann jeder, der in irgendeiner Weise betroffen ist, seine Einwände vorbringen. Genau das geschieht jetzt. Firmen im hinteren Industriegebiet, die mit ihrem Unternehmenssitz an das Baugebiet grenzen, zweifeln die Lärmschutzmaßnahmen als wenig wirksam an. Sie fürchten künftige Klagen und sehen sich in ihrer zukünftigen Entwicklung an ihrem Standort gehindert. So etwas verzögert den Baubeginn, verunsichert Investoren und kostet in jedem Fall Geld.

Die CDU hatte im vergangenen Jahr in einen umfangreichen Antrag zahlreiche Forderungen zu den Themen Bodenvorrat, Wohnformen, demografische Entwicklung sowie Verbindung von Wohnen und Leben formuliert. Ein Antrag, der, selten genug, quer durch die Fraktionen im Stadtrat Zustimmung fand. „In einer konzertierten Aktion mit den am Mainzer Wohnungsmarkt agierenden Wohnungsbauunternehmen und Baugenossenschaften sind die Strategien zu einer verstärkten und beschleunigten Bereitstellung von Wohnraum auszuarbeiten“, ist darin zu lesen.

1.000 Wohnungen fehlen
Aber wie viele Wohnungen fehlen eigentlich in Mainz? „Sowohl die Studie des Verbandes der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft als auch die Analyse der LBS Immobilien sprechen von einem momentanen Defizit von 1.000 Wohnungen in Mainz“, sagt FDP-Fraktionsvorsitzender Walter Koppius. Auch ungewöhnlichen Ideen verschließt sich deshalb der Politiker nicht. Den Vorschlag des Wiesbadener Oberbürgermeisters Helmut Müller (CDU), die Rücklagen der Kraftwerke Mainz-Wiesbaden (KMW) für Wohnprojekte einzusetzen, hält er zumindest für diskutabel. Nach Ansicht der FDP sollten die Rücklagen aufgelöst und an die Gesellschafter zurückgegeben werden. Diese Finanzmittel, die dem Steuerzahler und den Eignern zurückbehalten wurden, sollten von den Städten in neue aktuell notwendige Aufgaben investiert werden. Dazu gehöre sicherlich auch der Wohnungsbau. Ruth P. und viele andere besichtigen in der Zwischenzeit weiter freie Wohnungen. Immer wieder erlebt sie dabei Überraschungen. So bot ihr kürzlich ein Mainzer Wohnungsunternehmen eine Bleibe für sagenhaft günstige fünf Euro Kaltmiete den Quadratmeter an. Die Offerte hatte allerdings einen Haken: In der Wohnung fehlt die Heizung. Das sei allerdings nicht Sache des Vermieters, beharrte die zuständige Sachbearbeiterin, da müsse sie sich schon selbst drum kümmern. So ist das eben bei der Wohnungssuche in Mainz …

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 Oberbürgermeister Ebling zu Wohnraumsituation und leerstehenden Immobilien

Besonders für Familien mit geringen Einkommen ist die Suche nach bezahlbarem Wohnraum ein großes Problem. Gerade in attraktiven und wachsenden Universitätsstädten wie Mainz, in wirtschaftlich starken Regionen gelegen, sind aber auch immer mehr Haushalte mit mittleren Einkommen betroffen. Angesichts eines starken Anstiegs der Mieten und eines erheblichen Mangels an Wohnungen hatte der Deutsche Städtetag im Februar ein entschlossenes Vorgehen von Bund und Ländern gefordert. Aber auch die Kommunen müssten sich auf den Bau preiswerter Mietwohnungen und den Neubau geförderten Wohnraums konzentrieren. Dieser Aufgabe stellt sich die Stadt Mainz mit dem gestern von Wohnungsbaudezernent Kurt Merkator vorgelegten 25-Punkte-Wohnraumversorgungskonzept und zahlreichen Bauprojekten der städtischen Wohnungsbaugesellschaft.

Ein Dorn im Auge sind jedoch auch in der Landeshauptstadt die leerstehenden Immobilien in attraktiver Lage. Lobende Worte fand Oberbürgermeister Michael Ebling in diesem Zusammenhang für die heutige Berichterstattung der Mainzer Allgemeinen Zeitung. Auf einer Doppelseite beleuchtete die Lokalredaktion acht zum Teil seit langen Jahren leer stehende Gebäude in privater Hand und verstärkte damit den öffentlichen Druck auf die Eigentümer. „Der Stadt sind hier weitgehend die Hände gebunden und so unterstützen wir alle Initiativen, hier Bewegung zu schaffen“, bekräftigte der OB die Haltung der Landeshauptstadt. „In vielen Großstädten stehen Immobilien jahrelang leer, verwahrlosen und werden damit auch zu einem Problem für den jeweiligen Stadtteil. „Der alte Leitspruch `Eigentum verpflichtet´ muss wieder stärker zur Geltung kommen“, schließt sich der Michael Ebling der aktuellen Forderung des Städtetages und des Städte- und Gemeindebundes an. Der Städtetag hatte zusätzlich gefordert, Finanzinvestoren sollten in den Neubau investieren und neue Wohnungen schaffen, statt mit Altbauspekulation die Immobilienpreise und damit letztlich die Mieten in die Höhe zu treiben. „Dieser Forderung schließt sich auch die Stadt Mainz an“, erklärte der Oberbürgermeister.