Mainz ist Stadt der Wissenschaft 2011. Ein Titel, der vieles verspricht.
Doch kann er es auch halten?
Oberbürgermeister Beutel: Bitte alle mitmachen!
Unter dem Motto „Mainz leidenschaftlich wissenschaftlich. Stadtlandschaft voller Kreativität“ hatte ein Team, angeführt von OB Jens Beutel und der Wissenschaftsallianz unter Dr. Georg Krausch (Präsident der Johannes Gutenberg-Universität), mehr als 500 Projektideen in ein Konzept gebracht und im März in Berlin der Stiftungsrat-Jury vorgeführt. Der „Stifterrat der Deutschen Wissenschaft“ ist ein 30-köpfiges Gremium hochkarätiger Wissenschaftler aus forschenden Institutionen in Deutschland.
Mit seinem Konzept hat Mainz die Städte Bielefeld und Chemnitz ausgestochen und den Zuschlag als „Stadt der Wissenschaft 2011“ erhalten. Gefühle überwältigen die 30-köpfige Mainzer Delegation bestehend aus Wissenschaftlern, Studenten, Vertretern von Wirtschaft, Forschung, Stadt und Land. Spontan wird der alte Gassenhauer „Steht auf, wenn ihr Mainzer seid“ angestimmt. OB Jens Beutel: „Ich bin sehr stolz. Alle sind aufgerufen, sich hier einzubringen, nicht nur die 40.000 Studenten und 4.000 Lehrenden, sondern alle Mainzer und seine Gäste.“
Bildungsgleichheit – wir sind besser als andere
Der Vorsitzende der Jury, Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbandes, zu sensor: „Die Entscheidung der Jury fiel einstimmig. Mainz hatte am Ende knapp die Nase vorn.“ Ausschlaggebend für Mainz war den Juroren die Tatsache, dass sich das Mainzer Konzept – mehr als die Beiträge der anderen beiden Städte – die Realisation von „Bildungsgleichheit und Bildungsbeteiligung aller Bürger ohne Unterschiede“ auf die Fahnen geschrieben hat. Und das soll jetzt in Form von 320 Projekten über das ganze Jahr 2011 in Mainz realisiert werden.
E=MZ²: Einstein wirbt für Mainz
Oberbürgermeister Jens Beutel: „Mit diesem Titelgewinn können wir tolle Ideen in die Tat umsetzen“. Wissenschaft zum Anfassen eben. Gestützt wurde die Bewerbung von Anfang an auf breiter Basis. Wir erinnern an E=MZ² – diese Formel, gelegt über Schwarz mit grünen Kressesamen, tauchte im Sommer auf über 40 Großplakaten im Stadtgebiet auf. Die Idee dazu kam von Kommunikationsdesignern der Fachhochschule und Buchwissenschaftlern der Uni: Hannerose Mandik, Matea Prgomet, Sarah Schmitt, Johannes Pistorius und Christian Weber fusionierten die bekannte Formel Albert Einsteins (E=mc²) mit Mainz zu einer neuen Formel – Ausdruck als „Stadt der Wissenschaft 2011“. Und warum aus Gemüse-Kresse? „Kresse ist für ihren unkomplizierten Anbau bekannt und steht als Symbol dafür, dass jede Mainzerin und jeder Mainzer aktiv an Wissenschaft teilnehmen kann“, erläutert Christian Weber.
Vision 2030 und das 3-Säulen-Konzept
Das Mainzer Konzept steht vor allem für umfangreiche Bürgerbeteiligung und Nachhaltigkeit. Wissenschaft soll das Leben der Mainzer Bürger nachhaltig und positiv beeinflussen. Stadt der Wissenschaft 2011 sei nicht nur ein punktueller Tropfen auf den heißen Stein, das Gesicht von ganz Mainz soll sich in den kommenden 20 Jahren grundlegend ändern. Ambitionierte Ziele sollen erfahrbar und erlebbar gemacht werden, etwa eine größere Chancengerechtigkeit in Bildung, Wirtschaft und Wissenschaft im Schulterschluss mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und Wissenstransfer. In der Bewerbung heißt es: „Im Jahr 2030 haben alle Mainzerinnen und Mainzer Zugang zu Bildung, Ausbildung und Weiterbildung … Möglichkeiten zu wirtschaftlicher Betätigung auf den Arbeitsmärkten von morgen in ökologischer Verbundenheit mit der Natur … sowie die Chance auf Entfaltung ihrer emotionalen und kreativen Potenziale“.
Als konkrete Beispiele dafür werden genannt: „In Mainz 2030 … ist das Abfallaufkommen pro Kopf, das nicht wieder in den Kreislauf zurückgebracht wird, von derzeit 192 kg/Jahr auf Null gesunken … wird der Anteil regenerativer Energie für die Deckung des Stromverbrauchs aus der Region von derzeit zwei Prozent auf 50 Prozent ausgebaut … hat sich die Zahl der Museumsbesucher verdoppelt … feiern die Schauplätze des Wissens 20-jähriges Jubiläum“.
Hört sich stark an. Doch wird sich erst noch beweisen müssen, ob diese Versprechungen gehalten werden können. Schaut man sich die aktuelle Energiepolitik der Bundesregierung an, dürfte bereits das Energieziel in Frage stehen. Wie die Zahl der Museumsbesucher kontinuierlich auf das Doppelte wachsen soll, bleibt auch ein Rätsel. Doch soll man sich bekanntlich hohe Ziele stecken. Dies taten die Verantwortlichen jedoch nicht nur mit ihrer Zukunftsvision 2030, sondern auch mit der Formulierung des so genannten 3-Säulen-Konzeptes, quasi das Herzstück der Bewerbung. Die drei Säulen von Stadt der Wissenschaft Mainz lauten:
1. Kommunale Bildungslandschaften – Wir wollen Chancengerechtigkeit in der Bildung verankern
2. Arbeitswelten der Zukunft – Wir wollen den Zugang zum Arbeitsmarkt weiter öffnen
3. Schauplätze des Wissens – Wir wollen Wissenskultur erfahrbar und erlebbar machen
Mehr als 300 Projektideen fußen auf diesen drei Säulen. Genauer nachzulesen in der Bewerbung unter www.stadt-der-wissenschaft.de. Unter diesen Projekten und Ideen befinden sich jedoch auch schon welche, die offensichtlich so nicht umgesetzt werden können, etwa das Weinerlebniszentrum VINUMainz am Zollhafen (ehemaliges Weinlagergebäude), dessen Entstehung immer noch mehr als fraglich ist.
Eine Herausforderung also für die Stadt und ihre Verantwortlichen, angedachte Themen und Projekte nicht zu leeren Worthülsen verkommen zu lassen. Kleinere Fehler und Abweichungen im Grundkonzept sind ja verzeihlich, solange die Umsetzung des Ganzen nicht in Frage steht. Von daher tut die „Stadt“ gut daran, zu halten, was sie versprochen hat. Denn man wird ihr ab 2011 genauestens auf die Finger schauen und sie spätestens 2030 noch einmal daran erinnern.
Was tun mit den Geldern?
250.000 Euro Preisgeld erhält Mainz nun vom Stiftungsrat. Zusätzlich schaffte und schafft die Mainzer Wirtschaft und Wissenschaftselite Geld für die Projekte heran. Ein Mainzer Bürgerkonsortium hat auf Initiative von Prof. Wolfgang Strutz 160.000 Euro gespendet. Strutz ist ehemaliger Bankenvorstand und war Präsident der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft. Er verfügt immer noch über gute Kontakte in die Welt des Geldes und hat ein goldenes Händchen für Sponsoren. Zu dem Konsortium gehören unterem anderen die Alexander Karl-Stiftung (zugehörig zum BMW-Autohaus Karl+Co) und Brezel-Imperator Peter Ditsch. Dazu kommen noch weitere Sponsoren, die im Laufe dieses Monats bekannt gegeben werden. Die großen Mainzer Banken sind mit im Boot, aber auch Unternehmen wie Schott und Boehringer Ingelheim. Über Gegenleistungen an die genannten Unternehmen erhält sensor seitens der Stadt bisher keine Auskunft. Insgesamt sollen auf diesem Wege um die zwei Millionen Euro zusammenkommen.
Augenfällig mit 400.000 Euro ist der hohe Anteil (fast 23 Prozent) an Werbekosten. So kann man sich fragen, ob es wirklich nötig ist diese Summe für (hauptsächlich regionale) Werbung auszugeben, oder ob es stattdessen nicht sinnvoller wäre, mit guten Projekten für die nötige Aufmerksamkeit zu sorgen, wie etwa dem Internetbrunnen. Zumindest die geplanten Kosten scheinen gedeckt zu sein, wenn nicht sogar ein Gewinn von 70.000 Euro rausspringt. Doch auch diese Rechnung wird erst am Ende ihre Gültigkeit beweisen müssen.
Internetbrunnen und Baustellen-Party
Zuständige Projektkoordinatorin im Rathaus ist Sabrina Kirchner. Sie ist noch relativ neu in ihrem Job, aber motiviert: „Wir wollen Wissenschaft aufregend für alle machen. Das ganze Jahr wird es in der Stadt ein unterhaltsames Programm geben. Wir schicken die Mainzer auf Forschungsexpedition in ihre Stadt, um Wissenschaft im Alltag zu erleben. Viele Mitmach-Angebote oder Konzerte wird es geben, denn auch die Musikwissenschaft ist ein Teil der Mainzer Wissenschaft.“
Ein kleiner Vorgeschmack, was Mainz 2011 erwartet:
Los geht es mit der Baustellenparty Anfang Januar an verschiedenen Orten in ganz Mainz, unter anderem am Naturhistorischen Museum, der Universität, der Fachhochschule, am Zollhafen und an der Coface-Arena. Hier gibt es den Startschuss in 2011 mit Wissenschaft zum Anfassen bei Bier, Würstchen und Erbsensuppe.
Der „Internetbrunnen“ (http://internetbrunnen.de) lässt Internet aus allen Poren der Stadt sprudeln. Spendenfinanziertes WLAN wird an öffentlichen Plätzen installiert. Die Internetbrunnen sollen von verschiedenen Künstlern, Designern und Bastlern speziell gestaltet werden. Das Projekt wurde gemeinsam von Freifunk Mainz und dem Kulturverein Peng (www.pengland.de) gestartet. Ziel ist es, bis Ende 2011 die meisten öffentlichen Plätze in der Mainzer Alt- und Neustadt zu vernetzen. Initiatoren des Brunnens sind Soziologie Student Ago Rurek und Alex Boerger. Beide haben eine ganz andere Vorstellung von einer Stadt der Wissenschaft. Boerger: „Ich finde es schade, dass die verschiedenen Experten so wenig zusammenarbeiten. Jeder sitzt in seinem Elfenbeinturm und überlegt, wie er sein Ding unterhaltsam präsentieren kann, statt zu überlegen, wie er sein Wissen einsetzen kann, um Mainz lebenswerter zu machen. Erforscht doch mal Mainz!“ Rurek ergänzt: „In unserem Team sind Informatiker, Designer, Künstler, Innenarchitekten, Veranstaltungstechniker, Physiker, Pädagogen und Soziologen. Uns ist daher bewusst, dass unser Projekt ein soziales Experiment ist. Ich würde mir aber noch viel mehr dieser Experimente in Mainz wünschen, mit denen man die Kreativität, das Wissen und die Erfahrungen der Mainzer als wichtige Ressourcen miteinander verbindet.“
So bleibt zu hoffen, dass es nicht erst 2030 schlagen muss, damit wirklich jeder Mainzer „die Chance auf Entfaltung seines emotionalen und kreativen Potenzials“ erhält, wie es die Bewerbung zu Stadt der Wissenschaft vorsieht.
Zahlreiche Mitmachexponate der Wissenschaftseinrichtungen aus dem gesamten Bundesgebiet machen Anfang Juni das Kurfürstliche Schloss zu einem Schwergewicht der Wissenschaftsvermittlung. Ergänzend wird es Forschungs-Expeditionen zu unterschiedlichen Themen geben, die zu Einrichtungen der Uni, in den Lennebergwald, zu archäologischen Grabungsstätten und vielen weiteren Orten führen. Ob Wissenschaft im klassischen Sinne oder Wissenschaft im Alltag – es gibt viel zu entdecken und aktiv mit zu (er)forschen!
Mitmachen und Experimentieren – weiter geht es damit auf dem 10. Wissenschaftsmarkt, der 2011 bereits im Juni auf dem Gutenbergplatz stattfindet.
Was bedeuten Farben in Flora und Fauna? Was heißt es, farbenblind zu sein? Wie orientieren wir uns, wenn alles um uns herum schwarz, also farblos, ist? Wie arbeiten Restauratoren? Diesen und vielen weiteren spannenden Fragen können Besucher der SPEKTRALE, einer interaktiven Ausstellung rund ums Thema Farbe in der Rheingoldhalle im Juli und August auf den Grund gehen.
Die Organisation aller Veranstaltungen übernimmt das Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Mainz. Zentrale Anlaufstelle für Informationen ist die Tourismus-Zentrale am Brand, bei der schon bald ein komplettes Programm angefordert werden kann.
Fazit
Mainz als Stadt der Wissenschaft, das ist ein spannendes Abenteuer, das erst noch gewonnen werden muss in den Herzen aller Mainzer und nicht nur am Reißbrett der so genannten Entscheider. Wenn hier wirklich etwas passieren soll, dann muss den Menschen dazu die Gelegenheit gegeben werden und nicht nur Plakate in der Stadt, Gelder an Einrichtungen und Veranstaltungen an die üblichen Institutionen verteilt werden.
Es kommt zwar wie immer darauf an, dass sich auch jemand um die Dinge kümmert und sie in Gang setzt, doch muss dieser jemand oder dieser Kreis an Personen (hier vor allem Rathaus und Uni Obere) sich weiter öffnen, nach außen gehen und aktiver um Teilnahme und Miteinander in der breiten Bevölkerung bemühen. Die Zeiten ändern sich und Transparenz, Kommunikation und Teilhabe werden auch hier weiter in den Vordergrund rücken müssen. Denn Mainz als Stadt der Wissenschaft kann nur gelingen, wenn jeder Mainzer mit Herzblut dabei ist. Und das erreicht man am besten, wenn man die Menschen einbezieht oder ihnen zumindest das Gefühl gibt, Teil dieser Bewegung zu sein und die Möglichkeit der Mitgestaltung zu haben. Ansonsten verpufft auch diese Chance und 2012 kann es heißen: Außer ein bisschen Netzwerken und Geld von der einen in die andere Tasche war nicht viel gewesen. Mainz hat mal wieder das Potenzial. Verspielen wir es nicht.
Kontakt:
Landeshauptstadt Mainz
Amt für Öffentlichkeitsarbeit
Projektkoordination Stadt der Wissenschaft 2011
Postfach 3820, 55028 Mainz
Tel. 0 61 31 – 12 20 74
Fax. 0 61 31 – 12 35 67
Zentrale Anlaufstelle:
Tourismus-Zentrale (Brückenturm am Rathaus)
Telefon: 0 61 31 – 2 86 21-0
www.touristik-mainz.de
www.stadt-der-wissenschaft.de
(hier auch die Bewerbung von Mainz)
www.emz2.de
Text: Matthias Weimer, David Gutsche
Fotos: Martin Beckenbach, Ramon Haindl
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