Gedämpftes Gemurmel im Ratssaal der Stadt. Dort, wo normalerweise der Stadtrat tagt, warten einmal im Monat diverse Mainzer Bürgerinnen und Bürger auf ihre Einbürgerungsurkunde. Der Clou: Sie kommen aus allen möglichen Ländern der Welt. Manche von ihnen wohnen schon ihr halbes Leben hier, andere erst wenige Monate. Doch der Tag heute ist für alle gleich (besonders). Aktuell leben in Mainz rund 39.750 ausländische Mitbürger, was einem Anteil der Gesamtbevölkerung von 16,6 Prozent entspricht. Den größten Anteil haben die Türken, gefolgt von den Staaten des ehemaligen Jugoslawien. Danach folgt Italien. Heute haben sich 67 Erwachsene und acht Kinder für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden.
Willensentscheidung
Der Mainzer OB Michael Ebling (SPD) führt durch die kurzweilige Zeremonie. Er heißt alle Neu-Deutschen willkommen und fordert sie auf, sich – jetzt erst recht – in die Gemeinschaft einzubringen. Auch die Pflichten, die eine deutsche Staatsbürgerschaft mit sich bringt, werden angemahnt. Hängen bleibt aus seiner Rede aber ganz besonders ein Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck: „Heimat zu finden ist eine Sache des Herzens, aber auch eine der bewussten Willensentscheidung.“ Dieses Zitat drückt wahrscheinlich am ehesten aus, was im Ratssaal passiert: Denn man kann in Deutschland auch gut ohne einen deutschen Pass leben. Die bewusste Entscheidung für den Pass trifft man aber zumeist nicht einfach so. Alle im Raum haben sich willentlich für einen deutschen und somit gegen die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern und Großeltern entschieden.
Herkunft? Mainz!
Ankhang antwortet auf die Frage, wo er herkommt, souverän mit „Mainz“ – so als hätte er die Frage nicht zum ersten Mal gehört. Er ist 19 und lebt seit jeher in Mainz. Ankhang ist Deutscher mit vietnamesischen Wurzeln und nun froh, das bald auch schwarz auf weiß zu haben: „Endlich bin ich nicht mehr ‚der Ausländer‘“, sagt er mit einem Augenzwinkern – wohlwissend, dass es so einfach nicht ist. Seine Schwester hat sich ebenfalls einbürgern lassen, nur seine Mutter nicht. Sie ist aber trotzdem der Meinung, dass er mit dem deutschen nun den „Königspass“ habe und ihm die Welt offen stehe.
Der Brexit und seine Schattenseiten
Die Einbürgerungsfeier wird von einem Pianisten eingestimmt und im anschließenden Imagefilm über Mainz sehen alle, in welch‘ schöner Stadt sie leben… Der Engländer Kevin kennt bereits alle Ecken von Mainz. Er macht selbst regelmäßig englische Stadtführungen durch die City und beschreibt Mainz als „untypisch deutsch“: „Die Stadt ist offen, nicht so konservativ und es ist immer etwas los.“ Kevin ist gut gelaunt. Er genießt seine Zweitstaatlichkeit sichtlich und hat sich zur Feier des Tages mit schwarz-rot-goldenden Utensilien eingedeckt. Am Revers prangt neben der Deutschlandfahne dennoch weiterhin der Union Jack. Durch die unsichere Brexit-Situation sind die Briten die größte Personengruppe, die sich einbürgern lässt. 13 Personen kommen ursprünglich von der Insel, mehr als doppelt so viele wie die zweitstärkste Gruppe der Iraner und Italiener mit jeweils sechs Personen, dicht gefolgt von vier Mainzern mit indischer Herkunft.
Feierliche Atmosphäre
Drei der Inder sind Arun, seine Frau Meenu und Sohn Rowan. Der 32-Jährige aus Kerala arbeitet ebenso wie seine Frau als Krankenpfleger im Katholischen Klinikum Mainz. Er ist überwältigt von der feierlichen Atmosphäre im Ratssaal und den Worten des OB. Ihn kennt er nur aus der Zeitung und dem Fernsehen: „Dass er sich die Zeit nimmt, uns die Urkunden persönlich zu überreichen, ist etwas ganz besonderes für mich.“ Auch Estelle aus Kamerun hatte nicht erwartet, dass die Einbürgerung so festlich wird. Sie strahlt über das ganze Gesicht mit ihrer Urkunde in der Hand. Vermutlich, weil es so unverhofft kommt, scheint der hochoffizielle Akt ein gutes Gefühl bei den Menschen zu hinterlassen. Dabei lebt Estelle seit zehn Jahren in Deutschland, studierte in Berlin Biotechnologie und kam vor drei Jahren für den Job nach Mainz. Ihre Familie ist bei der Zeremonie dabei. Alle sind in traditioneller kamerunischer Festkleidung gekommen. Estelle trägt ihre Wurzeln gerne zur Schau, weiß aber auch, wie wichtig der Schritt zum deutschen Pass ist. In Kamerun herrscht Bürgerkrieg, der es für sie unmöglich macht zurückzukehren und dort zu arbeiten. Beinahe typisch deutsch wird der Festakt in unter einer Stunde mit dem gemeinsamen Singen der deutschen Nationalhymne beschlossen. Danach erfasst Gelöstheit alle im Raum. Es gibt Fotos für die Verwandten, die nicht dabei sein können und einen Schluck Wein oder Saft mit denen, die als Begleitung dabei sind. Die Töne des Klaviers untermalen den Auszug von 75 Neubürgern, deren Willensentscheidung sich wohl bald wie Heimat anfühlen wird.
Text Nina Stemmler Fotos Stephan Dinges