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„Viele Tiere bleiben für immer hier“: Das Mainzer Tierheim steckt in der Krise

Das Mainzer Tierheim steckt in einer Krise. Immer mehr Wildtiere werden gebracht. Nicht jeder Hund ist vermittelbar. Viele helfende Hände werden gebraucht. Ein Einblick in das Haus und seine tierischen Bewohner.

Es ist ein schwülwarmer Sonntagnachmittag. Hundegebell ist von dem umzäunten Gelände zu hören, das im Industriegebiet von Mombach liegt. Wer das Mainzer Tierheim besucht, wird schon an der Straße von einem imposant bellenden Kangal-Rüden begrüßt. Der türkische Hirtenhund in der Größe eines Kalbes macht jedem klar, dass man sein Territorium besser nicht betritt. Keine zwei Minuten später sitzt der Riese zu meinen Füßen und lässt sich hinter den Ohren kraulen. Eine Wendung, mit der man nicht rechnet, wenn man „King“, so sein Name, das erste Mal sieht. Begrüßt werde ich außerdem von Jasmina Bott, einer fröhlichen und energiegeladenen jungen Frau. Sie ist die zweite stellvertretende Leiterin des Tierheims und macht ihren Job neben ihrer Selbstständigkeit ehrenamtlich. Im Tierschutz ist die 40-Jährige erst seit der Corona- Pandemie aktiv. Ihr sei „die Decke auf den Kopf gefallen, zu Hause“. Deshalb habe sie als Katzenstreichlerin im Tierheim angefangen. Dies ist eine Maßnahme für die Katzen, damit sie sich an Menschen gewöhnen. So steigt die Chance auf Vermittlung, erklärt Jasmina. Nun leitet sie das Heim kommissarisch, zusammen mit ihrer Kollegin Christine Plank. Auf die Frage, was das größte Problem hier sei, sagt sie wie aus der Pistole geschossen: „Geld, mangelnder Platz und zu wenig Personal.“ Das Gelände des Tierheims ist viel zu klein. Es platzt aus allen Nähten. Vieles ist improvisiert. Da nicht gebaut werden darf, gibt es immer mehr Container, in welchen die Tiere unterkommen. Alles hat einen gewissen „DIY-Charme“ – und dennoch ist es mit Liebe gemacht. Die Pfleger, die über das Gelände eilen und ihre Arbeiten verrichten, wirken gestresst. Dennoch sind alle gut gelaunt und auch wenn es wie ein Widerspruch klingt, strahlt der Ort eine starke Ruhe aus. Er ist wie eine Oase inmitten des Leids, dass die Tiere teilweise in ihrem früheren Leben ertragen mussten.

Wenn Hunde zu Killern werden

Auf dem Rundgang beginnen Jasmina und ich mit den schwer vermittelbaren Hunden. Hunde wie Erna, die durch eine Beschlagnahmung der Polizei nach Mainz kam. Sie stammt aus Frankfurt und hat dort bei Menschen gelebt, die sie zu einer Killerin erzogen haben. Erna ist ein American Staffordshire-Mix und würde alles töten, was sich vor ihr bewegt. „Sie wird hier sterben“, sagt Jasmina. Erna ist nicht vermittelbar, wird es nie sein. Bei jeder Bewegung von uns zuckt der Hund, um direkt auf Angriff zu gehen. Keiner weiß genau, was ihr angetan wurde. Erahnen lässt sich jedoch, dass sie nicht viel Gutes von Menschen erlebt hat. Exemplare wie Erna gibt es hier zum Glück nicht viele, jedoch einige aggressive Hunde aus dem Ausland: Straßenhunde, die aus dem Tierschutz adoptiert wurden und den Besitzern über den Kopf gewachsen sind. Zum Beispiel der junge Schäferhund, der laut Jasmina eigentlich nur den richtigen Besitzer braucht, der ihn mit liebevoller Strenge und Konsequenz erzieht und fördert. Doch solche Menschen finden sich selten. Neben den schwierigen Hunden sind es oft auch alte und kranke Hunde, die im Heim landen: weil die Halter, die die Kosten nicht mehr stemmen können; von älteren Menschen, die verstorben sind und auch Hunde, die während der Pandemie angeschafft wurden und für die nun keine Zeit mehr da ist. Immer wieder ist das Tierheim auch mit „Animal Hoarding“-Fällen konfrontiert. Nicht lange ist es her, da hat man bei einer Frau rund 30 Chihuahuas in erbärmlichem Zustand aus der Wohnung geholt, und vor Kurzem tatsächlich 630 Degus (Nagetiere), die in einem Privathaushalt gelebt haben. Neben diesen Extremen erkennt man, dass es im Tierheim auch viele Wildtiere gibt – eine weitere Belastung für Pfleger und Verein. Provisorisch werden hier Gänse und Schwäne neben Hühnern gehalten, Taubenschläge errichtet, für die das Tierheim keine Unterstützung der Stadt erhält, obwohl diese dafür sorgen, dass sich die Tauben nicht unkontrolliert vermehren. Ein Raum im Tierheim ist voller Wildvogel-Küken – ein 24-Stunden.Job, denn die kleinen wollen alle zwei Stunden gefüttert werden. Neben Schwalben-, Spatzen-, Tauben- und Krähen-Küken, findet man alles, was in der heimischen Natur lebt.

Immer mehr Wildtiere

Auch kleine Waschbär-Jungen wurden von der Feuerwehr gebracht und den Pflegern aufgezogen. Auswildern kann man die possierlichen Tierchen nicht. Zu sehr haben sie sich an die Menschen gewöhnt und würden immer wieder deren Nähe suchen. Auch sie werden wohl für immer hierbleiben. Für Wildtiere erhält der private Tierschutzverein, der das Tierheim leitet, keine Gelder der Stadt, lediglich für Haustiere, die sie aufnehmen. Seit 151 Jahren besteht der Verein bereits und lebt von Spenden und Nachlässen, Erbschaften und den ehrenamtlichen Helfern. „So schlimm, wie es gerade um uns steht, war es noch nie. Wir sind am Ende unserer Kapazitäten“, so Jasmina. Damit ist das Tierheim Mainz nicht alleine. Fast alle Tierheime in der Region haben die gleichen Sorgen. Ihre Arbeit wird kaum gewürdigt und nur wenig finanziell unterstützt von den Kommunen und der Politik. Dabei profitiert jede Stadt von einem Tierheim, das sich den Schicksalen der pelzigen und gefiederten Wild- und Haustiere annimmt.

Viel Engagement

Wie Jasmina Bott das alles aushält, frage ich sie. „Wenn ich sehe, wie Tiere vermittelt werden, die viele Jahre bei uns waren, richtige Härtefälle: Dann weiß ich wieder, dass es sich lohnt. Dann ist tagelang nach einer solchen Vermittlung wieder gute Stimmung hier.“ Jasmina ist eine Person mit endloser Energie, eine Frau, die in den wichtigen Situationen ernst ist und trotzdem viel lacht. „Ein bisschen verrückt muss man auch sein, wenn man im Tierschutz arbeitet“, gibt die Mainzerin zu und lacht wieder herzlich. Wenn ich sie nach ihren Wünschen frage, sagt sie, dass die abgegebenen Tiere nicht anonym abgegeben werden sollen. Das Mainzer Tierheim erhebt keine Aufnahmegebühr für Abgabetiere. Wichtig sind aber gerade Informationen über die Tiere: „Wir verurteilen niemanden, der seinen Weg freiwillig zu uns findet.“ Außerdem wünscht sie sich, dass Tiere nicht unüberlegt angeschafft werden sollen. Man könne auch ins Tierheim kommen, um sich beraten zu lassen, welches Tier generell infrage kommt. Und von der Politik wünscht sie sich eine Kastrationspflicht für Katzen und mehr Gelder für die Aufnahme von Wildtieren. Denn dass es immer mehr von ihnen gebe sei menschliches Verschulden: Durch den Klimawandel, der Extremwetterphänomene begünstigt, seien viele Tiere einfach hilflos. Zudem wird ihr natürlicher Lebensraum immer kleiner, weil auch hier der Mensch überall vordringt.

Eine Mitgliedschaft im Tierschutzverein Mainz ist ab 30 Euro im Jahr möglich. Das Tierheim sucht immer ehrenamtliche Helfer für alle möglichen Tätigkeiten und nimmt Futter und Sachspenden entgegen. Wer das Tierheim und seine Bewohner kennenlernen will, ist eingeladen zum Sommerfest des Vereins am 8. September. Neben Kaffee und Kuchen wird es Informatives zum Thema Tierschutz geben.

Text & Fotos: Christina Langhammer

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