Das Konsumverhalten hat sich geändert, das Klima ebenfalls, der Absatzmarkt ist gesättigt: Die Weinwirtschaft ist herausgefordert. Zwei Winzerinnen und ein Winzer aus Mainz berichten Neues.

Am Anfang war: ein Wille. Dr. Eva Vollmar wollte Qualität und Bioweinbau. Ihre Weine sollten geschmacklich überzeugen, und den Böden sollte es gutgehen. Seit 2007 entwickelt sie mit ihrem Ehemann Robert Wagner und ihrem Team den Familienbetrieb als Flaschenweingut stetig weiter und vermarktet ihre Weine selbst. Die Kunden haben es honoriert: Schon der zweite Jahrgang wurde als Entdeckung im Gault Millau gefeiert. Das Weingut Eva Vollmer in Mainz-Ebersheim ist Mitglied bei Ecovin, Maxime Herkunft, Bioland, den Mainzer Winzern. Eva Vollmer erarbeitete ihr eigenes „Winzer-Tainment“ für ihren Rheinhessischen Genussgarten, für ihre „Kost-Bar“. Läuft. Eigentlich, denn: „Die Geschwindigkeit, mit der der Klimawandel voranschreitet, lässt uns kaum Zeit, uns anzupassen“, sagt die promovierte Oenologin. Steigende Temperaturen, Verdunstung, Starkregenereignisse, Dürre, Hagel – alles nimmt zu. Pflanzenschutz muss auch im Bioweinbau sein; hier werden u.a. Fenchelöl, Pflanzenseife, Kupfer verwendet. Die Frequenz, um den Pflanzenschutz auszubringen, wird aber immer höher: zehn- bis zwölfmal im Sommer. „Es war klar, wir müssen früher ansetzen, nicht erst im Weinberg, wenn die Reben gepflanzt sind!“ Ein Weinberg hat eine Standzeit von 25 bis 35 Jahren. „2016 haben wir entschieden: Wir brauchen innovative und enkeltaugliche Neupflanzungen. Wir werden unsere klassischen Reben sukzessive durch Piwis ersetzen. So ein Prozess dauert 40 Jahre.“ Seither baut Vollmer solche „Zukunftsreben“ an: pilzresistente Rebsorten: „Ich feiere die wunderbare Koexistenz von traditionellen und robusten Reben.“ Der Begriff „Piwis“ schmeckt ihr aber nicht – sie erfand die „Zukunftsweine“, half mit, die gleichnamige Initiative zu gründen. 2023 gewann die „Initiative Zukunftsweine“ den „Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design“, die „Zukunftsweine“ schafften es in den „Feinschme cker“ – die Weinbranche redet (endlich) darüber. 38 Prozent ihrer Rebflächen hat Vollmer mit „Zukunftsweinen“ bestückt: harte Schalen, geringere Sonnenbrandgefahr, bessere Trockenstabilität, gesunde Trauben, weniger Fäulnis, bei 80 Prozent weniger Pflanzenschutz, d.h. weniger Arbeitseinsatz, weniger Bodenverdichtung, weniger Kosten, ungestörtere Biodiversität. Deutschlandweit sind nur 4,5 Prozent der Rebflächen mit Piwis bepflanzt. „Der Fortbestand von unseren kulturellen Schätzen Riesling und Burgunder ist dann gewährleistet, wenn der durchschnittliche klimarelevante Fußabdruck der Betriebe deutlich gesenkt wird. Und ein hoher Prozentsatz von Piwis je Betrieb ist der Schlüssel hierzu“, ist sie überzeugt. Die Arbeit im Weinberg mit den „Zukunftsweinen“ ist die eine Sache, die andere ist die Kommunikation: „Wir wollen die Leute mitnehmen, denn wir müssen jetzt handeln und von der alten in die neue Weinwelt hineinführen“. Heißt: der Kundschaft die Hintergründe erklären, sie zum Ausprobieren animieren – auf allen, auch den Social Media-Kanälen. Die Leute, die zu den Wein-Picknicks nach Ebersheim kommen oder die im Weingut Vollmer Wein bestellen, seien offen und neugierig: „Die mögen unsere Kommunikation, die ist eher direkt, humorvoll, persönlich, mit klaren Worten“, so die Winzerin. Die Kommunikation am Weinfrühstück-Stand sei dagegen schwieriger. Da wollen die Leute ihre Schorle und keinen Vortrag hören. In zwei Sätzen zu erklären, warum es „Zukunftsweine“ braucht, ist nicht einfach, geht aber, z.B. so: „Möchtest du die leckere Zukunft probieren?“
Weniger ist manchmal mehr

Verhalten optimistisch beschreibt Daniel Weyer seinen Blick in die Winzer-Zukunft. Die Bretzenheimer Gutsschänke Weyer an der Koblenzer Straße in Richtung Lerchenberg dürfte vielen auffallen. Seit 2013 ist Daniel Weyer für den Weinbau im Familienbetrieb zuständig. Die Rebflächen liegen teils in Bodenheim, Nierstein und in Sprendlingen, ca. 1000 qm in der Gemarkung Bretzenheim, unterhalb des Fernsehgartens: „Der kleine Gleißberg“, der zur Großlage Nierstein zählt. Vermarktet wird der Rebensaft als Most, Fasswein sowie Flaschenwein direkt ab Hof und in der Gutsschänke. Seit einigen Jahren fällt Weyer auf, dass jüngere Menschen weniger Bezug zum Wein haben. Alkohol werde konsumiert, beobachtet er, dabei stehe jedoch das Rauscherlebnis im Vordergrund, und um das zu erreichen, sei Hochprozentiges günstiger. Auf längere Sicht gesehen haben weniger Weinkonsumenten einen geringeren Absatz von Wein zur Folge. Was derzeit über die eigene Gutsschänke und den Direktverkauf ab Hof funktioniere, brauche für die Zukunft ergänzende Strategien. Weyer ist Vorsitzender der Mainzer Winzer, macht überall mit: Weinfrühstück auf dem Leichhof und auf dem TritonPlatz, Weinstand am Rheinufer, im Weingut wird Glühwein in Flaschen abgefüllt und im Lebensmitteleinzelhandel in der Region verkauft. Dennoch ist Weyer klar: „Wir müssen weniger Hektoliter produzieren, das Menge-Güte-Verhältnis verbessern, heißt Erträge reduzieren und die Qualität erhöhen.“ Im Klartext: Klassische Rebsorten wie Müller-Thurgau oder Dornfelder haben aufgrund der marktwirtschaftlichen Lage und klimatischer Bedingungen keine Zukunft mehr im Weingut Weyer. Die Rebflächen werden gerodet, Begrünung eingesät und als mehrjährige Brache genutzt. Diese temporäre Rotationsbrache belebt den Boden und gibt neuen Nährboden für Weinberge der nächsten Generation. Wie sich die Rebflächenreduzierung auf die betriebswirtschaftliche Bilanz auswirkt, bleibt abzuwarten. „Wir haben eine Marktverzerrung durch EU-Subventionen, im EU-Markt wird zu viel Wein produziert, der auf Konsumzurückhaltung trifft – das passt nicht zusammen.“ Weyer meint, die EU-Subventionen gehören abgeschafft, der Markt solle sich selbst regulieren. Eine geringere Rebfläche braucht weniger Personal, um sie zu bewirtschaften, die Arbeitskosten sinken. Die Diskussion um den Mindestlohn kommentiert Weyer so: „Einen weiteren Anstieg des Mindestlohns lässt die Marktlage nicht zu. Vor zwei Jahren brachte ein Liter Fasswein 1,20 bis 1,80 Euro, heute sind es 60 bis 70 Cent. Wie sollen wir damit die Löhne finanzieren?“ Generell bezeichnet der Winzer die Stimmung in der Branche als verhalten: „Wir müssen privat vorsorgen, in unsere Alterssicherung investieren und das übers Jahr gesehen erwirtschaften.“ Die aktuelle Durststrecke werde noch drei bis fünf Jahre anhalten. Weyer erkennt allerdings in den anstehenden Umbrüchen Potenziale für die Weiterentwicklung, denn: „Weniger ist manchmal mehr. Wenn wir weniger Flächen bearbeiten, haben wir mehr Zeit, um in Verarbeitungsstrukturen und Vermarktung zu investieren. Wir müssen uns auf die Produktion von „cool climate wine“, der eine feine Frucht und ausgewogene Balance mit dem Terroir der Region hat, konzentrieren.“
Positiv durchbeißen

Malenka Stenner, die das elterliche Weingut in Mainz-Hechtsheim seit 2016 mit ihrem Bruder Niklas und Papa Bernhard leitet, hat viel geleistet: die Vertriebsstruktur neu aufgestellt, das Augenmerk auf den Direktverkauf gerichtet, die eigene Vinothek hat sich als Eventlocation profiliert, es gibt Online-Tastings, und die Weine sind im Online-Shop zu erwerben. Herausragend ist das neue Konzept zur Darstellung der Weine mithilfe eines Mosaiks, dessen Farben und Formen den jeweiligen Charakter sowie Geschmack widerspiegeln und das sich zur Orientierung auf den Etiketten der Flaschenweine wiederfindet. Seit Oktober 2021 vertreibt das Hechtsheimer Weingut auch zwei Weine aus Haifa, Fumé Blanc sowie Carignan, hervorgegangen aus der Partnerschaft mit dem israelischen Weingut Vortman. Beide Weingüter sind Mitglied der Initiative „Twin Wineries“, welche den internationalen Austausch sowie die Völkerverständigung auf Weinbasis fördert. Trotz alledem blickt Stenner mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. „Wir bewegen uns in der Weinbranche in einem Verdrängungsmarkt, das Fassweingeschäft ist nicht mehr lukrativ, die Tendenz geht zum Flaschenweingeschäft. Wir haben auf der einen Seite zu viel Menge, auf der anderen Seite immer weniger Menschen, die Alkohol trinken“, stellt sie fest. Im Wettbewerb um Absatzmöglichkeiten versuchten viele Flaschenweinproduzenten in der Gastronomie und im Lebensmitteleinzelhandel mit ihren Weinen einen Fuß in die Tür zu bekommen. Gastronomen und Supermarktleiter in der Region müssen direkt angesprochen und überzeugt werden. „Wir sind da gut aufgestellt. Es bedeutet aber, Kontakt zu halten, sich zu kümmern, ist also zeitintensiv. Leider hat ein Tag nur 24 Stunden und die Woche nur sieben Tage.“ Stenner nutzt ihre über Jahre aufgebauten Netzwerke – aber hält diese Kundenbindung? Zeitmanagement, das ist ihr großes Thema: „Wir wollen viel und machen unsere Arbeit sehr gerne. Wir wissen auch, was wir alles unternehmen können, wir kennen die Methoden, allein es fehlt oft die Zeit, alles parallel umzusetzen.“ „Wir“, das heißt außer Malenka Stenner: Bruder Niklas, der für die gesamte Außenarbeit im Weinberg zuständig ist, sowie Papa Bernhard, der Kunden beliefert und überall aushilft, wo Not am Mann ist. In der Weinlese sind alle dabei: „Das ist eine superspannende Zeit. Es ist schön zu erleben, was die monatelange Arbeit hervorbringt.“ Wieviel Laune das macht, können zum Beispiel Inhaber einer „Rebstockpatenschaft“ selbst miterleben. Außerdem nimmt Stenner die Menschen über Social Media mit in die Weinberge, erklärt, warum Preiserhöhungen nötig sind oder was ein Hagelschaden anrichten kann. Auch das braucht Zeit. Und dann ist da noch das Thema Klimawandel. Dass es in unseren Breiten auf Dauer zu trocken werde, kann die Oenologin nicht erkennen, aber: „Die Extremwetterlagen nehmen auch hier zu. Hagel, Starkregen, kurzzeitige Dürren, heftige Gewitter, das macht uns allen zu schaffen.“ Riesling, Burgunder und Stenners Lieblingswein, die Scheurebe (trocken!), wachsen in den Weinbergen, die roten Sorten Syrah, Spätburgunder und Cabernet Sauvignon profitieren eher von heißen Sommern. Vor zwei Jahren wurden mehrere Stennersche Weinberge mit Piwis, pilzresistenten Rebsorten, bestückt. In diesem Jahr könnten erstmals ein paar Trauben geerntet werden – bis ein Piwi-Wein im Weingut Stenner abgefüllt werden kann, dauert es aber noch eine Weile. „Wir sind grundsätzlich positiv eingestellt und werden uns durchbeißen, auch wenn die allgemeine Stimmung verhalten ist.“
Text: Marion Diehl