Treibt man sich zwischen Höfchen und Brand in der Innenstadt umher, wird man zumeist von der Menschenmenge getrieben und läuft vermutlich am Juwelier Wagner-Madler vorbei. Bei genauem betrachten des Hauses sieht man ein wenig, was das Innere verspricht: auf jeden Fall ist es alt. Doch tatsächlich analog zum Juwelier ein echtes Juwel, dass sich hier versteckt: ein kleiner Mainzer Geheimtipp im dritten Stock, den bisher oft nur die hohen Herren der Fastnacht auf ihren Ratssitzungen zu sehen bekamen. Der Senior-Juwelier und Ex-Präsident des Mainzer Carneval Vereins (MCV) Richard Wagner hat hier einen Ritter der Tafelrunde-Festsaal eingerichtet, in dem er gelegentlich zu rauschenden Soirées einlädt. Eine Wendeltreppe geht es hoch, dann begrüßt einen der Raum: länglich und schmal, die Tafel in seiner Mitte füllt ihn gut aus. Viel Holz offenbart sich: massive Balken stützen das spitz zulaufende Dach. Parkettboden veredelt die Atmosphäre und natürlich der zentrale Tisch, an den etwa 20 Gäste passen. Dazu strotzt der Raum vor Details: Die Wände sind von Sammlerstücken gesäumt, welche Richard Wagner überall auf der Welt erworben hat: Masken aus Venedig, Schmelztiegel, Beleuchtungen aus der Champagne, Bembel-Krüge und natürlich Fastnachtsorden en masse. Das Entdecken von schönen Dingen ist eine Leidenschaft des Juweliers, wen wundert es. Auch die eigentümlichen Kronleuchter, die an massiven Stahlketten von der Decke baumeln, stechen hier ins Auge: Es handelt sich um umgebaute Feuerkörbe. Und hinter dem Kopfende von „Gutenbergs Tafelrunde“ hat man – wie sollte es anders sein – einen tollen Blick auf den Mainzer Dom.
Auf Gutenbergs Spuren
Warum es ausgerechnet wieder der „Man of the Millenium“, wie Bill Gates ihn nennt, sein musste, der dem Raum seinen Namen verlieh, verrät ein Blick auf die Geschichte des Hauses. Als Gutenberg Anfang des 15. Jahrhunderts an seiner Erfindung arbeitet, benötigt er dafür vor allem Geld. Einer seiner Gläubiger ist Johannes Fust, ein gewitzter Geschäftsmann, der das Potenzial der Erfindung erkennt. Er leiht Gutenberg nicht nur 800 Gulden, sondern schleust so auch seinen Schützling Schöffer in die Druckwerkstatt ein. Als Gutenberg seine Schulden nicht zurückzahlen kann, verliert er seine Druckerei samt Werkzeug an Fust, der kurz darauf verstirbt. So ist es Schöffer, der begabte Lehrling Gutenbergs und Schützling Fusts, an den die Druckerei fällt. Schöffer führt Gutenbergs Geschäfte fort und bringt es so zu einem kleinen Vermögen, mit dem er 1478 das Haus erwirbt, in dem heute der Juwelier sitzt. Knapp 500 Jahre später liegt das Haus nach dem Zweiten Weltkrieg jedochin Trümmern. Richard Wagners Eltern finanzieren 1974 den Wiederaufbau.
Ein Raum zum „Strunze“
Der Saal erzählt heute eine Geschichte von der Liebe zum Detail, aber auch von der Liebe zu gutem Marketing. Es ist ein Raum „zum Strunze“, zum Angeben, wie die Mainzer sagen. Hier empfängt Richard Wagner Kunden, Freunde und Vereine, aber auch Passanten, die ihm sympathisch erscheinen. Vermieten wolle er den Raum nicht. Nur auf seine Einladung hin und in seiner Anwesenheit sollen andere in den Genuss des Saals kommen. Von Richard Wagner eingeladen zu werden, bedeute vor allem auch, viele Geschichten über Mainz und das Haus zu hören, mit einem Meister der Fassenacht zu witzeln, zu singen und natürlich auch gut zu essen – und genüsslich zu trinken. Es ist „ein Museumsbesuch der etwas anderen Art und allzu oft verlassen seine Gäste ihn erst wieder im Morgengrauen. Heutzutage Juwelier zu sein, bedeute jedoch nicht mehr dasselbe wie früher, sinniert Wagner. In den angegliederten Räumlichkeiten findet man zwar noch eine Werkstatt für die Anfertigung von Schmuckstücken und eine hochmoderne Uhrenwerkstatt, doch dies komme immer weniger zum Einsatz. Was einen Juwelier heute ausmache, sei eine herausragende Qualität, Beratung und Servicebereitschaft. Natürlich hat Wagner das Konzept der Kundenbindung auch mit seiner Tafelrunde perfektioniert. Sein nächstes Milleniums-Projekt: Bill Gates einladen und gemeinsam mit ihm auf Gutenbergs Spuren wandeln.
Text Nora Cremille Fotos Jonas Otte