Jedes Jahr landen in Deutschland 18 Mio. Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Stephanie Renken ist Botschafterin von Foodsharing Mainz: „Das ist eine abstrakte Zahl. Wie viel das wirklich ist, wird einem erst bewusst, wenn man bei einem Bäcker steht und tütenweise Brötchen einpackt, die als Müll gelten.“ Es entspricht dem Ertrag einer Fläche, die größer ist als ganz Europa. Mehrere Mainzer Organisationen haben es sich zur Aufgabe gemacht, der Verschwendung entgegenzuwirken. Etwa der Brotposten in der Neustadt, in dem es Brot vom Vortag zu kaufen gibt. Aber vor allem Organisationen wie „Foodsharing“ und „Die Tafel“ gehen in Betriebe, um einwandfreie Lebensmittel abzuholen, die sonst weggeworfen würden. „Foodsharing“ gibt es in Deutschland seit 2012, aber in Mainz erst seit 5 Jahren. Die Initiative hat Kooperationen mit 65 Betrieben, wie der Souperie, der Landbäckerei Meyer oder dem ReWi auf dem Campus. Auch nach Wochenmärkten oder Festen finden Abholungen statt. So werden alleine im Stadtgebiet jedes Jahr 22 Tonnen Lebensmittel vor dem Müll bewahrt.
Aktiv werden
Um „Foodsharer“ zu werden – also selbst Lebensmittel zu spenden – kann man sich auf der Webseite foodsharing.de anmelden und ein Quiz bestehen. Dieses soll dabei helfen, die Grundprinzipien der Organisation zu verstehen. Auf einer Karte von Mainz ist anschließend zu sehen, wo es Essenskörbe und Betriebe gibt, bei denen Essen abgeholt werden kann. Möchte man Lebensmittel „retten“, wird man „Foodsaver“. Hier gibt es drei einführende Abholungen, bei denen jemanden mit Erfahrung in Betriebe begleitet, um die Regeln kennen zu lernen. Ist das geschafft, erhält man einen Foodsharing-Ausweis. Die Webseite mag auf den ersten Blick unübersichtlich erscheinen, ist aber wie ein soziales Netzwerk aufgebaut. Jeder User hat einen Account und kann Arbeitsgruppen beitreten. Immer wieder taucht spezifisches Vokabular auf, etwa die „Vertrauensbananen“, die man erhält, wenn man zuverlässig ist oder bei Sonderabholungen einspringt. „Fair-Teiler“ sind öffentlich zugängliche Entnahmeschränke, an denen sich jeder kostenlos bedienen kann. Zudem finden regelmäßige Treffen statt, wie der Samstagsbrunch im „Cronopios“ (Zanggasse). Hier werden Lebensmittel ausgetauscht oder über Dienste und neue Kooperationen gesprochen. Botschafterin Stephanie Renken sagt: „Mainz ist gerade klein genug, um viele aus der Community persönlich zu kennen, und groß genug, um für Aktionen genug Leute zusammenzubekommen. Außerdem gibt es hier viele Studenten, die Zeit und Lust haben, sich ehrenamtlich zu engagieren.“
Bewusstsein schaffen
Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil von foodsharing. Denn nicht nur Betriebe, Restaurants und Supermärkte produzieren Reste, auch bei der Ernte und in Privathaushalten ist Lebensmittelverschwendung ein Thema. „Es kann nicht sein, dass 40 Prozent einer Ernte auf dem Feld liegenbleiben, weil sie irgendwelchen Normen nicht entsprechen“, sagt Stephanie und fordert, dass sich in der Politik etwas ändert. Und: „Der Verbraucher, der verlangt, dass abends um acht beim Bäcker noch jede Sorte Brot vorhanden ist, ist genauso verantwortlich. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Das fängt beim Täglich-Brot an, geht über das Handy bis hin zu sich ständig ändernden Moden in der Bekleidungsindustrie. Es muss wieder Aufmerksamkeit auf den wahren Wert der Dinge gelenkt werden.“
Text Nora Cremille Fotos Jonas Otte