Text: Ken Yamamoto
Fotos: Ichi
Als ich das Restaurant „Le Lavandin“ (Weinstube zum Bacchus) in der Mainzer Altstadt betrete, schlägt mein kleines Herz höher. Wie viel Glück muss ein Mensch haben, um einen Bericht über sein Lieblings-Restaurant schreiben zu dürfen? Voller Tattoos und im Anarchie-Shirt, empfängt mich freundlich der Chef des Hauses, Franck Tamisier. Ein ungewöhnlicher Mann, der ein ungewöhnliches Restaurant leitet und dort Tag für Tag persönlich in der Küche steht, um das Niveau zu garantieren. „Die Leute, die zu mir kommen müssen wissen: ich bereite alles frisch zu, das dauert ein bisschen“, erzählt er. „Aber wenn man essen geht, sollte man sich auch die Zeit dafür nehmen“.
„Le Lavandin“ ist ein heimeliger Ort. Alles hier ist eine liebevolle Hommage an Francks Heimat Roussillon, eine kleine Stadt in der Provence, in der seine Familie seit über eintausend Jahren angesiedelt ist. Übrigens versteckte sich Samuel Beckett genau dort vor der Wehrmacht und setzte dem Städtchen mit „Warten auf Godot“ ein Denkmal. Die Ockerfarbe der Wände im „Le Lavandin“ verweist auf die Ockerberge der Region. Im Erdgeschoss hängen Bilder, die Francks Vater für das Restaurant malte und auf der Karte finden sich Weine von den Reben, die einst seinem Großvater gehörten, dem er schon als Kind bei der Traubenernte half. Sein Großvater war es schließlich auch, der ihn mit sechs Jahren die Liebe zum Kochen beibrachte. Während alle anderen Kinder spielten, beobachtete Franck ihn in der Küche beim Zubereiten eines Apfelkompotts, an dem er sich dann die Nasenspitze verbrannte. „Meine Wurzeln in der Küche sind provenzalisch“, sagt er stolz. Er erlernte seinen Beruf an der renommierten Escoffier-Schule in Avignon, wo er zum besten Lehrling seines Jahrgangs wurde. Dort sollte er eines Tages an einem nationalen Wettbewerb teilnehmen, den er jedoch absagte. „Ich will keine Medaille. Ich mache da nicht lang rum. Ich mache das, weil es mir Spaß macht.“ Diesem Credo ist er bis heute treu geblieben. Nach der Ausbildung arbeitete er dann einige Jahre als Privatkoch des Präsidenten der „Herald Tribune“.
Franck geht seinen eigenen Weg. Im Gegensatz zum Trend, zog er nicht von Mainz nach Berlin, sondern umgekehrt. Von 1985 bis 2003 lebte er in der Hauptstadt, wo er den Wandel hautnah miterlebte. „Berlin vor der Wende war ein kleines Dorf, hinterher war es eine Großstadt.“ In Berlin kochte er für ein portugiesisches und marokkanisches Restaurant: „Um den Horizont zu erweitern“, sagt er dazu lächelnd. Nachdem er 2003 zum ersten Mal Mainz besuchte, kehrte er nach Berlin zurück und sagte allen: „In drei Monaten bin ich weg. Ich kündige.“ Ich frage ihn, was ihm hier so gut gefällt. „Mainz ist eine chaleureuse Stadt“, antwortet Franck mit seinem charmanten französischen Akzent. „Ich mag die Mentalität. Jeder kennt jeden. Nicht wie in Berlin, wo jeder für sich lebt. Hier gibt es mehr Gemeinschaft. Als ich Mainz zum ersten Mal besuchte, wusste ich sofort, hier will ich herkommen, hier will ich bleiben.“
Der Geheimtipp auf der Karte und zugleich die gefragteste Speise ist das Boeuf Bourgogne. „Es gibt viele Leute, die hier anrufen und fragen, ob das die Weinstube mit dem Boeuf ist.“ Wir setzen uns zu Tisch. Ich bin sterbenshungrig. Die freundliche Bedienung bringt das Boeuf Bourgogne mit Semmelknödeln. Ich bin im Paradies. Das hier ist Ambrosia! Ich weiß nicht, wann ich wieder so gut essen werde, also halte ich mich ran. Zum Nachtisch serviert Franck mir noch frittierte Vanilleschnitten auf kaltem Kirschragout. C‘est trop délicieux! Ich erinnere mich, wie ich letzten Sommer, den Duft der Lavandin-Felder in der Nase, in meinem 86er BMW durch die Provence kurvte und ewig nach einem gemütlichen und guten Restaurant suchte. Warum in die Ferne schweifen, denke ich selig kopfschüttelnd, wenn Franck uns ein einzigartiges Stückchen Provence nach Mainz gebracht hat.
In der Mainzer Altstadt / Jakobsbergstr. 7
Boeuf Bourgogne – Rezept
2kg Rinder Hochrippen, 1kg Karotten, 800g Zwiebeln,1L Rotwein, 1EL Nelken, 1EL schwarze Pfefferkörner, 3 Lorbeerblätter, 3EL Tomatenmark, 2EL Salz, 1 bis 2L Wasser.
Das Fleisch in größere Stücke schneiden. Im Rotwein einlegen mit Nelken, Pfeffer und Lorbeer 5 bis 6 Tage marinieren. Zwiebeln und Karotten in 13mm große Würfel schneiden (getrennt halten). Fleisch aus der Marinade nehmen und scharf anbraten, die Zwiebeln dazugeben, das Tomatenmark hinzufügen und leicht(!) anbrennen lassen. Die Marinade dazu gießen wie auch Karotten, Salz und Wasser. Das ganze kochen und reduzieren lassen bis das Fleisch zart ist.
Das Boeuf Bourgogne serviert Franck mit Parmesan und Semmelknödeln. Sie können aber auch Butternudeln dazu reichen, wie auch in der Provence üblich.
Also, bon appétit!