Text: Martin Frey
Fotos: Jonas Otte
Nur wenige Gerichte auf der Speisekarte polarisieren so wie der Mainzer Handkäs: Manche vergöttern ihn, andere verdrehen schon bei der Namensnennung die Augen. Dabei ist die aus Quark gereifte Käsespezialität ein echter Alleskönner: Man kann ihn klassisch mit dem EssigÖl-Dressing und Zwiebeln, der sogenannten „Musik“, genießen – oder auch ganz anders… Für unseren Test baten wir die Handkäs-Experten, Handkäs-Ede aus Rüsselsheim und Neustadt-Fred, um ihr Urteil.
„Das ist für mich jetzt wie im Dschungel-Camp“ – unser Chefredakteur verzieht das Gesicht, als die Wirtin mit den Handkäs-Tellern kommt. Wir sitzen im Weinhaus Wilhelmi in der Rheinstraße. „Unser Handkäs ist in Bacchus-Wein eingelegt und am Tisch gießen wir immer nochmal einen Schluck drüber“, erklärt Christina Schickert, die Inhaberin der Traditionsgaststätte. Schon nach dem ersten Bissen hellt sich die Mine des eben noch skeptischen Journalisten auf – „mhhhh, gar nicht so übel“. Auch unsere Experten sind sehr angetan: „Schön durch, der Handkäs“, schwärmt Handkäs-Ede, alias Michael Hamann, der mit seiner Punkband „Handkäs-Ede und die Brezelmänner“ im weiten Umkreis in Mission Handkäs unterwegs ist. „Viele junge Leute wissen einfach nicht, wie klasse der schmeckt“ – das soll die Welt erfahren.
Unser Tester Neustadt-Fred verfolgt das gleiche Ziel von Mainz aus, manchmal mit skurrilen Mitteln: „Hier, riechen Sie mal“, hält er der Wirtin ein Plastikbeutelchen hin, in dem ein dunkelbraunes Etwas liegt. „Huuu…“ entfährt es allen, als wir den intensiven Geruch abbekommen. „Das ist der älteste Handkäs von Mainz“, beeindruckt er uns: „Acht Jahre alt. Daraus lasse ich mir jetzt von einer Goldschmiedin einen Ring machen.“ Wir sind verblüfft von Neustadt-Fred, der eigentlich als Endie Neumann im Kaiser-Wilhelm-Ring einen Underground-Bekleidungsladen führt. Zur Deko legt jetzt Handkäs-Ede noch zwei Gummi-Handkäse auf den Tisch. Diese Typen haben ja wirklich nur Handkäs im Kopf! Nur gut, so zwei Cracks dabei zu haben. Der Test geht weiter: Das gereichte Landbrot ist knusprig und schmeckt hervorragend. Etwas dominant sei der Weingeschmack, bemängelt Ede. Dennoch: sehr rund im Gesamteindruck. Doch schnell müssen wir weiter.
Denn im Weinhaus Quintin Flehlappe in der Kleinen Quintinsstraße wird uns gleich Hans-Joachim Mans überraschen. Der gebürtige Mecklenburger in dem kleinen Stichgässchen bietet Handkäs der Käserei Birkenstock in Hüttenberg, dem Mekka der Handkäs-Herstellung in Nordhessen. Handkäs-Ede klärt uns auf, dass sogar ganz in der Nähe in Groß-Gerau mit der Käserei Horst (1862) die älteste Handkäserei Deutschlands beheimatet ist. Eine Frau Kaul aus dieser Gemeinde hatte bereits 1813 den ersten Handkäs auf dem Mainzer Wochenmarkt verkauft.
Nachtischhunger
Im Lokal zuvor ist auch der Handkäs im Flehlappe herrlich reif und durch, er benetzt den Gaumen und schmeckt perfekt. Den Kümmel, der sonst über die „Musik“ gestreut ist, liefert der Wirt in einem extra Glasschälchen – „weil nicht jeder Kümmel mag“. Gute Idee! Wir werden ein wenig übermütig und fragen, ob wir einen „Nachtisch-Handkäse“ bekommen könnten. Der Wirt ist einverstanden und serviert erstmals einen Handkäse mit einem Schälchen mit Preiselbeeren – wir sind begeistert, zumal die Zusammenstellung richtig gut mundet. Handkäse ist immerhin recht neutral im Geschmack. Und man isst ja auch überbackenen Camembert mit Preiselbeeren.
In der Mainzer Neustadt sind die Handkäs-Lokalitäten etwas dünner gesät. Aber mit dem Weinhaus und Restaurant Hahnenhof in der Wallaustraße treffen wir eine gute Wahl: Wir bekommen einen schmackhaften Handkäse, in einer guten Konsistenz. Als Extra reicht die Bedienung ein Soßenschälchen mit einem Traubenkerndressing, das man zusätzlich zur „Musik“ gießen kann. Es eignet sich aber auch bestens zum Dippen des frischen Bauernbrotes – und zeigt, dass man auch in der Neustadt gut seinen Handkäs-Heißhunger stillen kann.
Mit der Weinstube „Rote Kopf“ in der Rotekopfgasse hinter dem Gutenbergmuseum nähern wir uns der Mainzer Altstadt. Die Kneipe ist ein Muss für jeden Weintrinker. Und wo Wein genossen wird, ist meist auch der Handkäs nicht weit. Gilt er doch als eines der demokratischsten Mainzer Gerichte, da es sich praktisch jeder leisten kann. Die meisten Handkäse in Mainz kosten um die fünf Euro und zusammen mit Brot und Butter ist man nach dem Genuss gut gesättigt. Zudem schafft das kalorienarme Gericht eine perfekte Grundlage, um auch ein paar Schoppen mehr zu vertragen. Im „Rote Kopf“ ist der Handkäs prima, die Musik schön süß-sauer und wird in einem Steingutschälchen serviert. Die Zwiebeln sind nicht ganz durchgezogen, was dem Gesamteindruck aber nicht abträglich ist.
Ruhestörung
„Mir esse Handkäs, mir esse Handkäs…“ – Oje oje: Handkäs-Ede und Neustadt Fred kommen jetzt so richtig in Fahrt, als sie singend durch die Augustinergasse das nächste Ziel ansteuern. Eben noch haben sie auch einer – an dieser Stelle nicht aufgeführten – Wirtin erklärt, dass man den Handkäs nicht in Plastik verpackt reifen lassen dürfe. „So kann das nix werden. Ergebnis war das etwas griesige und leicht weißliche Innenleben“, sagt Handkäs-Ede. „Ich hab denen geraten, sie sollten 48 lose Handkäse im sechseckigen Pappkorb bestellen. Dann sind sie auch schön reif“. Wir kündigen schon jetzt an: Wir kommen wieder und dann gibt’s die zweite Chance. Im Weinhaus zum Beichtstuhl in der Kapuzinerstraße entdecken wir ein ganz anderes Geschmackserlebnis: Hier ist der Handkäs sehr charaktervoll, richtig reif – aber merkwürdigerweise gar nicht so weich wie in den anderen Gaststätten. Die Eintracht zwischen Handkäs-Ede und Neustadt-Fred ist plötzlich wie verflogen: „mir schmeckt das nicht so, Note drei“, so das vernichtende Urteil von Handkäs-Ede. Neustadt- Fred sieht das komplett anders: „Der ist voller Charakter, einfach genial. Für mich ne Note eins“. Es folgt ein Schlagabtausch der Argumente. Gut, dass der Wirt kommt und uns einen wunderbar samtigen Weinbrand ausgibt. „Für Stammkunden legen wir unseren Handkäs auch darin ein“, macht er uns neugierig auf mehr.
Die Zeit wird knapp – wir müssen uns beeilen. Denn zumindest das Weinhaus Michel in der Jakobsbergstraße muss es noch sein. Hier erleben wir einen Abschluss, wie er schöner nicht sein könnte. Die Inhaber Astrid und Stefan Michel, die hier eigene Weine aus dem rheinhessischen Weinolsheim ausschenken, zeigen viel Liebe fürs Detail: Serviert wird der Handkäs in großen Steingut-Schalen mit der Aufschrift „Määnzer Handkäs“. Am stillen Örtchen steht mit Kreide auf Schiefertafeln „Hey ho Handkäs!“ und „Ich kann kein Handkäs mehr sehen“… in diesem Laden geht man´s richtig mit Humor an. Und auch die Qualität stimmt: Der Käse ist würzig, bissfest, aber dennoch gut reif und markant. Wir beißen in ein knuspriges Bauernbrot und die „Musik“ ist ein guter Begleiter – auch auf dem Nachhauseweg. Wir haben einen großen Abend erlebt. Satt und selig warte ich auf meinen Nachtbus – und irgendwie meine ich in der Ferne so etwas wie Domglocken läuten zu hören…
Weinhaus Wilhelmi
Rheinstraße 53, Tel.: 224949 www.weinhaus-wilhelmi.de / 5,90 €
Weinhaus Quintin Flehlappe
Kleine Quintinsgasse 2, Tel.: 1444300 www.flehlappe-mainz.de / 6,50 €
Weinhaus und Restaurant Hahnenhof
Wallaustraße 18, Tel.: 2121150 www.hahnenhof-mainz.de / 5,50 €
Weinstube „Rote Kopf“
Rotekopfgasse 4, Tel.: 231013 www.rotekopf.de / 4,80 €
Weinhaus zum Beichtstuhl
Kapuzinerstraße 30, Tel.: 233120 www.zumbeichtstuhl.de / 4,50 €
Weinhaus Michel
Jakobsbergstraße 8, Tel.: 233283 www.michel-wein.de / 6,00 €
Die ganze Welt des Handkäses vermittelt die Homepage von Handkäs-Ede: www.handkaes-e.de
Hallo und guten Tag
Sie schrieben: „Der gebürtige Mecklenburger in dem kleinen Stichgässchen bietet Handkäs der Käserei Birkenstock in Hüttenberg, dem Mekka der Handkäs-Herstellung in Nordhessen.“
Meines Wissens liegt Hüttenberg in der Nachbarschaft von Gießen (Hessen Mitte).
Herzlichen Gruß
ME Roth