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Mainzer Griechen über die „Griechenland-Krise“

griechen
Interviews Tina Jackmuth & Mareike Rabea Knevels
Fotos Andreas Coerper

Vor etwa vier Jahren nahm die europäische Öffentlichkeit entsetzt zur Kenntnis, in welchem Ausmaß die Finanzmärkte das Handeln demokratischer Regierungen beeinflussen. Damals war viel davon die Rede, dass Finanzmarktakteure die Regierungen der Eurozone vor sich her trieben. Inzwischen ist der Finanzkrieg auf einer anderen Ebene angekommen. Menschen verschiedener europäischer Länder lassen sich gegeneinander aufhetzen. Deutsche Steuerzahler gegen griechische Rentner und Arbeitslose. Dabei sollten wir zusammenhalten. Erst kürzlich wurde das neue Rettungspaket durchgewinkt. Im September gibt es Neuwahlen in Griechenland. Was sagen Mainzer Griechen eigentlich zur Situation? Wir haben sie gefragt.

_MG_8989Christos Mantzios (48) hat die deutsche und griechische Staatsbürgerschaft, in Mainz Politik, Jura und Soziologie studiert und war für verschiedene hochrangige griechische Politiker und für eine Partei als politischer Berater und Analyst tätig, desweiteren freier Journalist einer griechischen Tageszeitung.

Wie fühlst du dich momentan als Grieche in Deutschland?

Ich fühle mich nach wie vor sehr wohl in Deutschland. Das hat sich auch seit der „Griechenland-Krise“ nicht geändert. Ich selbst habe keine negativen Erfahrungen gemacht oder negative Reaktionen in meinem Umfeld erfahren. Ich weiß aber dass es hier gegenüber Griechen immer wieder Anfeindungen gibt. Da ich eine vielfältige und langjährige politische Erfahrung habe, erwarten meine Freunde und Bekannten eher, dass ich ihnen Hintergrundinformationen zu der „Krise“ mitteilen kann. Vielleicht ist das auch der Grund, warum man mir bisher nicht auf diese Weise begegnet ist.

Wie erlebst du die Krise?

Ich lebe in einem Land, in dem sich der Großteil seiner Bürger als „Griechenland- Experte“ fühlt. Fast jeder Deutsche hat eine Meinung zu Griechenland, aber die wenigsten haben auch gerade wegen der plakativen Berichterstattung eine Ahnung, wie es wirklich ist. Ich habe eine sehr kritische Einstellung zu der Berichterstattung in den deutschen Medien. Mir gefällt die „Wortwahl“ nicht und ich störe mich sehr an der allgemeinen Dämonisierung des griechischen Volkes. Ich unterstelle dieser Berichterstattung politisch-wirtschaftliche Absichten, um die tatsächlichen Probleme der EU, das heißt die „Eurokrise“ und die politische und wirtschaftliche Instrumentalisierung des Euro, nicht zu thematisieren.

Wobei die Bezeichnung „Eurokrise“ sich nicht auf den Außenwert des Euro bezieht, denn dieser blieb relativ stabil, sondern auf das multiple Phänomen aus Bankenkrise, Staatsschuldenkrise und Wirtschaftskrise. Allerdings muss ich zugeben, dass sich das inzwischen ein wenig geändert hat. Man kann jetzt auch den einen oder anderen Bericht lesen, der mehr und vor allem fundierte Informationen enthält.

Wie beurteilst du die Situation in Griechenland?

Hoffnungslos. Ich vertrete die Meinung, auch wenn nicht viele diese Meinung teilen, dass Griechenland sowohl die Eurozone, als auch die Europäische Union verlassen muss, um wieder auf die Beine zu kommen. Vor dem Beitritt in die damalige Europäische Gemeinschaft 1981 war Griechenland ein autarker Staat und praktisch schuldenfrei. Das Land hatte eine vorzeigbare leichte Industrie, einen bedeutenden Agrarsektor und eine international akzeptable Landeswährung vorzuweisen. Seit dem Beitritt lebt das Land nicht mehr von der eigenen Produktion, sondern von europäischen Subventionen. Das war meiner Meinung nach sowohl von europäischer Seite, als auch von der Mehrheit der wirtschaftlichen und politischen Eliten Griechenlands so gewollt.

Das ganze ist schizophren. Ich nenne nur mal das Beispiel meines Großvaters: Er war Bauer und hatte damals 35 Schafe. Mit dem Beitritt zur EG (EU) erhielt er Subventionen für 60 Schafe, obwohl er nur 35 besaß. Daraufhin sagte er sich, was brauche ich überhaupt 35 Schafe, wenn ich einfach so Unterstützung für 60 Schafe kriege, dann reduziere ich sie auf zehn, habe das Geld, aber dafür weniger Arbeit und mehr Zeit. Zehntausende im Primärsektor haben es wie mein Großvater gehalten, mit dem Ergebnis, dass die Produktion in Griechenland nach und nach fast zusammengebrochen ist. Heute ist Griechenland de facto ein „Schulden-Protektorat“ der EU…

Wäre ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone und EU die Lösung?

Ich denke, dass das griechische Volk ein Schockerlebnis benötigt, um aus seiner Lethargie zu erwachen. Ich bin davon überzeugt, dass der Austritt Griechenlands aus der Eurozone und der EU keine Katastrophe wäre, sondern eine Chance. Ein Austritt wird dazu führen, dass die Griechen wieder selbst produzieren und das Land autark wird. Unter bestimmten Voraussetzungen kann dieser Schritt sogar eine Erfolgsgeschichte werden, vor der sich heute viele in Griechenland und in der EU fürchten.

Und noch etwas: Griechenland wäre kein „Beamtenstaat“ mehr. In den 34 Jahren seiner Mitgliedschaft in der EG bzw. der EU hat der griechische Staat ca. 600 Milliarden Euro an Subventionen erhalten. Doch anstatt damit die Wettbewerbsfähigkeit des Landes weiter zu erhöhen, haben die griechischen Politiker, und das ist mein größter Vorwurf, einen Beamtenstaat aufgebaut. Zeitweise war es so, dass einer Bevölkerung von ca. 11 Millionen Griechen etwa 1,2 Millionen Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst gegenüberstanden, überwiegend „Parteisoldaten“ ohne jegliche Qualifikation und darüber hinaus in unkündbaren Arbeitsverhältnissen.

Du hast Verwandte und Freunde in Griechenland, wie geht es ihnen?

Im familiären Umfeld habe ich keine „Härtefälle“ zu beklagen, natürlich gibt es auch bei ihnen Einschnitte in Bezug auf Löhne und Renten. Die Leidtragenden dort sind eindeutig die Angehörigen der ehemals existierenden Mittelschicht. Von manchen Freunden weiß ich persönlich, dass aufgrund der immens gestiegenen Arbeitslosigkeit in den letzten sechs Jahren die gesamte Großfamilie von der Rente der Großeltern lebt. Viele wollen das Land verlassen. Allerdings stelle ich immer wieder fest, dass sie zum Beispiel vom Leben in Deutschland utopische Vorstellungen haben. Sie stellen sich vor, dass es in Deutschland Arbeit ohne Ende gibt. Ein Gehalt von 1600 Euro netto klingt für einen Griechen nach guter Lebensqualität. Man muss sich an dieser Stelle bewusst machen, dass z. B. der Lohn eines erfahrenen Supermarktverkäufers in Griechenland in Vollzeit bei etwa 700 Euro liegt, der Mindestlohn bei 510 Euro.

Möchtest du irgendwann selbst wieder nach Griechenland gehen?

Irgendwann ja! Wahrscheinlich im Rentenalter oder wenn ich mich entscheide, doch selbst wieder politisch aktiv zu werden. Innerhalb der heutigen griechischen Parteienlandschaft aber auf keinen Fall.

Was schätzt du besonders am Leben in Deutschland? Und was sind die Vorteile in Griechenland?

Griechenland hat für mich derzeit, abgesehen vielleicht vom Wetter, der Landschaft, den warmherzigen Menschen und dem Meer, keine weiteren Vorteile zu bieten. Ich schätze an Deutschland besonders, dass ich hier einem geregelten Leben nachgehen kann, dass die Grundversorgung zum Beispiel im medizinischen Bereich noch akzeptabel ist und dass viele Dinge einfacher zu regeln sind, als das in Griechenland der Fall ist. Das fängt schon beim simplen Begleichen einer Rechnung an. In Griechenland herrscht dagegen in vielen Bereichen eine Art Gesetzlosigkeit und Korruption. Selbst ein Arzt im Krankenhaus erwartet dort ein „Taschengeld“, obwohl es eine gesetzliche Krankenversicherung gibt, die erforderliche Eingriffe bezahlt. Es ist traurig, das sagen zu müssen, aber diejenigen, die sich dort an die Gesetze halten, sind tatsächlich die Dummen.

GriecheAlexAlexandros Kotzias (25), Software Ingenieur

Wie erlebst du die Krise?

Ich verbringe sehr viel Zeit im Internet, um zu lesen und mich zu informieren. Ich fühle mich ein bisschen entfremdet von meinem Alltag, da ich den ganzen Tag über die Nachrichten mit meinen griechischen Freunden rede und mich auf nichts anderes konzentrieren kann. Es ist ein Ohnmachtsgefühl. Man sitzt hier wie in Watte gepackt und die Menschen in Griechenland leiden dort. Ich fühle mich verpflichtet gegenüber den Menschen dort.

Deine Eltern leben in Athen. Wie geht es ihnen?

Es geht ihnen relativ gut, aber sie machen sich große Sorgen und fühlen eine große Unsicherheit.

Wie erlebst du die Deutschen?

Bis jetzt habe ich gute Beziehungen mit den Leuten hier. Ein paar Kollegen haben sich sehr negativ über Griechenland geäußert, aber im Allgemeinen hatte ich bisher keine Probleme. Ich bin aber enttäuscht, wenn Leute sehr vereinfachte und pauschalisierte Meinungen äußern, wie „Deutsche sind Nazis, Griechen sind faul usw.“ Eine solche große Krise kann und muss man nicht in diesen Rahmen erklären. Ich bin für ein vereinigtes Europa, aber was wir jetzt erleben, ist etwas anders.

GriecheAristosAristeidis Dikefalos (28), Entwicklungsingenieur

Wie erlebst du die Krise?

Ich habe Griechenland 2011 nach meinem Bachelor verlassen, um in Deutschland meinen Master zu machen. Daher habe ich kaum etwas von der Krise mitbekommen, sondern mehr über andere, sprich meine Familie, Freunde oder Bekannte, oder aber auch von Griechen, die nach

Deutschland gekommen sind, um ein neues Leben zu beginnen. Ich erlebe die Krise also eher als Außenstehender – bekomme mit, wie gute Freunde plötzlich von Armut betroffen sind und trotzdem ruhig bleiben. Ich fühle mich ohnmächtig. Eins der Hauptprobleme für mich ist die Arbeitslosigkeit in Griechenland, die traurigerweise überwiegend junge Menschen trifft. Dazu kommt die verlangsamte Wirtschaft, verursacht durch die strenge Sparpolitik auf allen Sektoren des täglichen Lebens – ein Besuch in Griechenland reicht, um das alles zu verstehen.

Wie geht es deinen Angehörigen?

Meine Eltern machen sich Sorgen um die Politik und haben Angst vor der Zukunft. Sie sind zufrieden, dass ich hier eine bessere Zukunft habe. Aber sie erwarten, dass ich eines Tages zurückkomme, nur dieser Tag rutscht durch die Krise in immer weitere Entfernung.

Wirst du oft gefragt, wie es als Grieche in Deutschland ist?

Naja, es gibt hin und wieder die typischen Fragen „Behandeln sie dich gut? Was erzählen sie dir über Griechenland?“. Aber das sind genau dieselben Fragen wie die, die ich auch von der anderen Seite höre „Wie ist die Situation in Griechenland? Was denken die Griechen über die Deutschen?“. Für mich ist es gut, gerade hier zu sein.