von Ulla Grall, Linda Rustemeier, Illustrationen: Lisa Lorenz
Seit Mai 2013 ist Mainz eine von vielen Fairtrade-Städten. Was steckt eigentlich dahinter? Im Frühjahr 2011 bewarb sich die Stadt Mainz als „Fairtrade Town“ und es wurde ein entsprechender Lenkungskreis gegründet. Dr. Sabine Gresch vom Amt für Stadtentwicklung und 15 ehrenamtliche Mitglieder aus verschiedenen Institutionen werten seitdem das Angebot an fair gehandelten Produkten in der Stadt aus und engagieren sich für Bildungsarbeit in Sachen fairer Handel. Ihre Website www.fairtrade-stadtmainz. de informiert über Aktionen in der Fairtrade-Stadt und gibt einen Überblick über das Mainzer Angebot. Bürger können sich hier informieren und werden motiviert, in Geschäften fair gehandelte Produkte nachzufragen und zu kaufen. Das begehrte Fairtrade- Siegel erhielt Mainz schließlich im Mai 2013 und befindet sich somit im Bunde von mehr als 220 deutschen Städten, die an der Aktion beteiligt sind. Fünf Kriterien hatte Mainz dafür zu erfüllen: Entsprechend der Einwohnerzahl mussten mindestens 20 Geschäfte und 15 Gastronomiebetriebe fair gehandelte Produkte nachweisen. Wenigstens eine Schule, ein Verein und eine Kirche mussten dafür gewonnen werden, Fairtrade-Produkte zu verwenden und das Thema „Fairer Handel“ in ihre Bildungsangebote aufzunehmen. Zudem galt es, Medien zu informieren und zu bewegen, über die Aktivitäten auf dem Weg zur Fairtrade- Stadt zu berichten. Für eine Tafel, die an den Ortseingängen Besucher auf den neuen Status der Stadt hinweist, war allerdings kein Geld vorhanden.
Mit gutem Beispiel voran
Oberbürgermeister Ebling ist „Fairtrade- Fan“ und das, wie er sagt, „mit ganzem Herzen“. Umweltfreundlicher Einkauf ist im Rathaus schon länger ein Thema: Die Stadt verwendet nur noch Recyclingpapier. Dazu sind jetzt im Einkaufskatalog der Stadt, aus dem die Ämter ihren Bedarf bestellen, auch faire Produkte aufgelistet – im Prinzip das Lebensmittelsortiment des Weltladens. Sowohl im Büro des OBs, als auch bei Sitzungen und Veranstaltungen im Rathaus gibt es fair gehandelten Kaffee sowie auf Wunsch Tee, Apfelsaft und Wasser. Fair gehandeltes Wasser?! Egal – zwei Produkte schreibt die Kriterienliste vor, die Mindestanforderung ist also erfüllt. Auch außerhalb des Rathauses gab es viele Aktionen: Beim traditionellen Ministranten-Fußballturnier des Dekanats wurde schon immer fair gehandelter Kaffee ausgeschenkt. 2012 kamen fair produzierte Fußbälle zum Einsatz und ein Infostand klärte auf zum Thema „Fußballpro- duktion“. Beim „Fair-Netzungstreffen“ kamen die „Weltladengruppen“ zum Thema „Fairtrade“ zusammen und es gab ökumenische „Schöpfungsgottesdienste“. Auf dem „Open Ohr“ wurde fairer Kaffee angeboten, der VHS Kurs „Kochen fair-bindet“ lud zu einer kulinarischen Reise nach Peru ein. Die Liste der größeren und kleineren Maßnahmen wächst beständig. Mit gutem Beispiel voran ging auch ver.di und verteilte am Weltfrauentag im März 2013 faire Rosen. Das Frauenbüro veranstaltete dazu Lesungen und gab Informationen über die prekäre Situation der Arbeiter auf Rosenfarmen. Die Standards für die Fairtrade-Rosen verbessern die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Menschen, und dies gilt auch für alle übrigen Fairtrade- Produkte: Die gezahlten Preise liegen höher als im Weltmarkt und bieten den Erzeugern ein gesichertes Auskommen. Langfristige Verträge sichern den Absatz, traditionelle Produktion wird gefördert.
Der Weltladen Unterwegs
Flaggschiff des fairen Handels in Mainz ist der Weltladen in der Christophstraße. So viele fair gehandelte Produkte auf einem Platz sind anderswo in der Stadt nicht zu finden. Den Weltladen könnte man als „Hauptprofiteur“ des Fairtrade-Booms bezeichnen. 60 ehrenamtliche Mitarbeiter stehen geschlossen hinter der Fairtrade-Idee. Karl-Heinz Dejung, Rentner und Gründungsmitglied, sieht seine Aufgabe nicht nur im Verkauf, sondern „möchte auch ein bildungsorientiertes Angebot fördern“. Hildegard Niessen, ebenfalls Rentnerin und seit 25 Jahren dabei, äußert Kritik: „Der Wald an Siegeln macht Fairtrade intransparent.“ Sie meint aber auch: „Das gute Wissen und Gewissen lässt faire Produkte besser schmecken.“ Eine kritische Anmerkung sei dazu erlaubt: Waren zu Beginn des fairen Handels noch überwiegend Lebensmittel im Sortiment, die in unseren Breiten nicht gedeihen – allen voran Kaffee, Tee, Kakao und Schokolade – so ist das faire Sortiment mittlerweile immens gewachsen. Es gibt, neben Kleidung und Geschenkartikeln, auch viele kunsthandwerkliche Gimmicks. Ein überflüssiges Produkt bleibt jedoch auch dann überflüssig, wenn der Erzeuger ein wenig mehr dafür erhält. Und mancher Hersteller würde vielleicht besser für sein eigenes Umfeld produzieren, anstatt Dinge herzustellen, die weite Transportwege zurücklegen müssen, um hier beim Käufer für ein gutes Gewissen zu sorgen.
„Ein bisschen fair“ ist besser als nichts
Bei der Bestandserhebung zu den fairen Produkten im Einzelhandel einer Stadt zählen nicht nur die inhabergeführten Läden, sondern auch die großen Supermarkt-, Kaffee- oder Drogerieketten. Von denen haben gerade die Discounter nicht den besten Ruf und gelten als umstritten. Bei der Auswertung zur Zertifizierung als Fairtrade-Stadt geht es jedoch lediglich darum, dass die am Ort vertretenen Unternehmen überhaupt Fair-trade zertifizierte Produkte anbieten. Da reicht schon eine Sorte fairer Kaffee oder Kekse – und der Laden zählt mit. Zur fairen Einkaufskultur tragen jedoch vor allem die lokalen Händler bei: Bäcker, Reformhäuser, Bioläden, Tee- und Schokoladenhäuser, regionale Kaffeeröstereien und sogar Textil- und Modeläden. www.fairtrade-stadtmainz. de führt eine Liste mit Einkaufsstellen für Fairtrade-Waren auf. Schulen zu aktivieren, die bisher noch nicht mit dem Thema befasst waren, gehört zu den Aufgaben des Lenkungskreises. „Wir wollen gezielt junge Menschen für Fairtrade sensibilisieren“ betont Gresch. Das Motto der AGENDA 21 „Tu´ heute was für morgen“, also mit Bildung und Aktionen auf die junge Generation zu setzen, passt hier gut. Auch bei anderen potenziellen Fairtrade-Partnern besteht Nachholbedarf. Im Lenkungskreis berät man sich, wie Hotels in die Kampagne einbezogen werden können. Von den Blumen über die im Haus verwendeten Textilien bis zur Verwendung von Lebensmitteln gäbe es zahlreiche Möglichkeiten.
Landesweiter Austausch
Noch hat es sich bei den Mainzern nicht herumgesprochen, dass sie in einer Fairtrade-Stadt leben. Dabei gibt es in unserem Bundesland bereits elf ausgezeichnete Städte und ca. 18 weitere Bewerber. „Wir hoffen sehr, dass das „Fairtrade-Rad“ nicht immer wieder neu erfunden werden muss“, hofft Gresch. „Gemeinsam können wir von den „Best Practice“- Beispielen profitieren.“ Mit der Verleihung der „Fairtade- Stadt“-Urkunde hat die Arbeit eigentlich erst richtig angefangen. Etliche Werbemaßnahmen sind in Planung. Eine Postkarten-Aktion mit Prominenten soll die Bekanntheit fördern, neue Flyer sind in Arbeit, zahlreiche Termine stehen an. Ehrenamtliche Mithilfe ist auch in Zukunft gefragt, denn die Stadt, notorisch klamm, wird keine größeren Geldmittel zur Verfügung stellen können. Faire Produkte kaufen kann aber jeder einzelne und so dazu beitragen, dass Mainz wirklich fairer wird.