von Ejo Eckerle, Fotos: Stick Up Studio
Was machen die Kirchen und ihre Unternehmen mit dem Geld, das sie von uns bekommen? Ein Kassensturz.
Rund 186 Millionen Euro nahm das Bistum Mainz im vergangenen Jahr an Kirchensteuern ein – das ist mehr als das Doppelte dessen, was die Stadt Mainz an Einkommensteuern von seinen Bewohnern erhält. Von seiner Größe her rangiert das Mainzer Bistum mit rund 767.000 Katholiken im mittleren Bereich der deutschen Bistümer. Beim Steueraufkommen liegt es im oberen Viertel, gehört also zu den eher „reichen“ Gemeinschaften. Dennoch, das Bistum muss sparen. Erklärtes Ziel: Auf Dauer 25 Millionen Euro pro Jahr weniger ausgeben. Das will man in den kommenden Jahren sukzessive erreichen. „Wir werden auf Jahre hinaus außer in Schulen und Kindertagesstätten keine Neueinstellungen mehr vornehmen können“, erklärt Generalvikar Dietmar Giebelmann. Die beiden großen christlichen Kirchen sowie die ihnen angegliederten Unternehmen sind der zweitgrößte deutsche Arbeitgeber, sie beschäftigen rund eine halbe Million Menschen. In den Bereichen Bildung, Erziehung und soziale Unterstützung liegt ihr Kerngeschäft als Arbeitgeber. Teilweise dominieren sie mit ihren Angeboten den Markt, teils müssen sie sich verschärfter Konkurrenz stellen. Während einerseits die Zahl kirchlicher Einrichtungen immer weiter steigt, sinkt aber gleichzeitig die Zahl der zahlenden Kirchenmitglieder. Bei Kindertagesstätten legt sich die katholische Kirche besonders ins Zeug. Bereits jetzt gibt es im Bistum Mainz rund 200 Kindertagesstätten in Trägerschaft von katholischen Kirchengemeinden, 70 in Rheinland-Pfalz und 130 in Hessen. In den nächsten Jahren sollen darüber hinaus in Mainz 70 neue Plätze für Kinder unter drei Jahren sowie weitere Plätze für Drei– bis Sechsjährige entstehen. Sozialdezernent Kurt Merkator ist über das Engagement der katholischen Kirche glücklich. Kein Wunder, denn die Kirche legt dafür meist einen Eigenanteil von durchschnittlich 12 Prozent aus eigenen Mitteln drauf. Für Städte und Gemeinden ist das in der Regel ein gutes Geschäft. Müssten sie sich selbst um Bau und Betrieb kümmern, käme sie das teurer.
Streit um Tarife
Wie kann sich die Kirche die vielen Krankenhäuser, Pflegeheime, Schulen und Kindergärten leisten? Die Antwort ist einfach: Kirchen und mit ihnen kirchliche Unternehmen erhalten nicht nur Kirchensteuer, sondern haben noch weitere Geldquellen, vor allem die Sozialversicherungen. Caritas und Diakonie, Organisationen der Kirche, erhalten für ihre Aufgaben zum Beispiel Geld aus den Sozialkassen. Ihre Arbeit wird also von allen, auch von nichtoder andersgläubigen Steuer- und Abgabezahlern finanziert. Dass der „Sozialkonzern“ Kirche überhaupt entstehen konnte, ist einem sozialpolitischen Paradigmenwechsel zu verdanken, der sich ab Mitte der Neunziger Jahre abzeichnete. Die Kirche engagierte sich verstärkt im sozialen Arbeitsmarkt. Gleichzeitig wurde das Gesundheitssystem auf Wirtschaftlichkeit und Profit getrimmt. Weitere neue, private Anbieter traten auf den Plan. Die Refinanzierungsbedingungen, vorgegeben durch Kassen und Sozialversicherungen, sowie der einsetzende verschärfte Wettbewerb brachten auch die Kirchen dazu, ihre Einrichtungen konsequent betriebswirtschaftlichen Prinzipien unterwerfen zu müssen. Trotzdem ticken die Uhren in kirchlichen Unternehmen anders: Mal angenommen, Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter einer solchen Organisation setzen sich zusammen: Es geht um den neuen Tarifvertrag. Der Arbeitgeber möchte so wenig wie möglich drauflegen, die Arbeitnehmer hätten gerne noch eine Schippe mehr. Schließlich einigt man sich. Ab dem nächsten Monat gibt es zusätzliche vier Prozent. Man schüttelt sich die Hände, wünscht sich einen schönen Abend und geht auseinander. Doch ein paar Wochen später heißt es: „Sorry Leute, wir zahlen euch nur die Hälfte der Tariferhöhung aus. Das Weihnachtsgeld streichen wir auch und die beschlossene Einmalzahlung von zehn Prozent müssen wir leider auch abziehen. Wir sind nämlich in einer Notlage…“ Gibt‘s nicht? Gibt es aber doch. So geschieht es derzeit in einem Haus, das der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau zugeordnet ist, dem Mainzer Martinsstift. Das Altenpflegeheim befindet sich im Besitz von Mission Leben GmbH, einem Konzern, der „als diakonisches Unternehmen im christlichen Auftrag handelt“. Knapp 1.400 Mitarbeiter stehen auf seiner pay roll. Das Unternehmen unterhält in den Geschäftsfeldern Gesundheitsversorgung, Pflege, Behinderten-, Jugend- und Wohnsitzlosenhilfe im Rhein-Main-Gebiet zahlreiche Einrichtungen. Im kürzlich veröffentlichten Konzernbericht von Mission Leben heißt es: „Die Hauptursache für die unbefriedigende wirtschaftliche Situation sind die im Branchenvergleich bei gleichem Personaleinsatz überdurchschnittlich hohen Personalkosten, die in unserem marktkonformen Vergütungssystem begründet sind.“ Wer sich mit Geschäftsführer Frank Kadereit von der Mission Leben Im Alter GmbH unterhält, bekommt dieses betriebswirtschaftliche Kauderwelsch in Klartext übersetzt. „Unser Problem sind die privaten Anbieter von Pflegeplätzen, die oft deutlich preiswerter sind als wir, einfach deshalb, weil sie ihren Mitarbeitern mehrere Hundert Euro weniger bezahlen.“ Er schiebt den ihm zugewiesenen schwarzen Peter weiter an die Pflegekassen, die sich seit Jahren weigern, den Pflege-Unternehmen höhere Vergütungen für ihre Aufwendungen zu zahlen und sich an den billigeren Preisen der privaten Konkurrenz orientieren. „Die Verhandlungen gestalten sich als äußerst schwierig, deshalb sind wir gezwungen, die Kostensteigerungen auch an die Pflegeheimbewohner weiterzugeben und immer teurer zu werden.“
Kostendruck versus moralischer Anspruch
Zugute kommt den kirchlichen Unternehmern eine weitere deutsche Besonderheit: Das spezielle kirchliche Arbeitsrecht. Kirchliche Mitarbeiter besitzen kein Streikrecht und nur sehr eingeschränkte Mitbestimmungsrechte. Die Begründung dafür lautet, in der Kirche gebe es keinen Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, sondern man sei einem gemeinsamen „Dienst am Nächsten“ verpflichtet. Jeder Arzt, jede Krankenschwester und jede Kindergärtnerin, die unter dem Dach der Kirche arbeitet, muss sich mit dem so genannten „Dritten Weg“ arrangieren. Bei der jetzt im Mainzer Martinsstift geltenden Notlagenregelung bedeutet das zum Beispiel, dass eine arbeitsrechtliche Kommission sie beschließen muss. In ihr sitzen auch Arbeitnehmervertreter. Sie werden „umfassend informiert“, bekommen Bilanzen von einem Wirtschaftsprüfer vorgelegt, aber abstimmen darüber dürfen sie nicht. Die Notlage des Altenheimes ist kein Einzelfall. Es teilt sein Schicksal mit 24 weiteren Einrichtungen der Diakonie in Hessen- Nassau. Die finanzielle Schieflage im Pflegemarkt hat noch einen weiteren Grund: Die gesetzliche Krankenversicherung erhält jährlich einen Zuschuss aus Steuermitteln im zweistelligen Milli ardenbereich. Die Pflegeversicherung muss sich komplett aus Beitragszahlungen selbst tragen. Während die kränkelnden Kliniken also auf Finanzspritzen vom Bund hoffen dürfen, gehen die Akteure der Pflegebranche leer aus. Edith Heller ist Vorsitzende der Gesamtmitarbeitervertretung bei Mission Leben. Seit mehr als 30 Jahren steht die Diplom-Pädagogin in kirchlichem Dienst. Sie kann sich noch an die guten Zeiten erinnern, als Löhne und Gehälter bei Diakonie und Kirche gleichauf lagen mit dem, was im öffentlichen Dienst bezahlt wurde. Inzwischen beträgt der Abstand zu den dortigen Gehältern rund zehn Prozent, einfach deshalb, weil die Tariferhöhungen bei der Diakonie in den letzten Jahren immer magerer ausfielen als im öffentlichen Dienst. Im Gegenzug zu der nun bestehenden Notlagenregelung hat sich das Unternehmen verpflichtet, einen Sanierungsplan aufzustellen. „Das, was unser Arbeitgeber als Sanierungskonzept vorgelegt hat, ist ein Witz in Tüten“, so Edith Heller. „Die haben gesagt, sie wollen billigere Firmen suchen für anstehende Reparaturen, außerdem soll soziales Sponsoring einzelne Projekte finanzieren.“ Was Edith Heller aber besonders auf die Palme bringt: Mission Leben plane eine eigene Zeitarbeitsfirma, um billigere Leiharbeiter in ihren Einrichtungen beschäftigen zu können. Der Einsatz von Leiharbeit greift in kirchlichen Betrieben um sich. Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, geht davon aus, dass rund 35.000 Mitarbeiter der Diakonie ausgelagert oder über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt sind. Nach Schätzungen von Mitarbeitervertretern sind es mehr als doppelt so viele.
Die fetten Jahre sind vorbei
Dass es so etwas wie eine Notlage überhaupt gebe, bestreitet Edith Heller und verweist auf das deutliche sechsstellige Plus der (Gesamt-)Konzernbilanz. Was ihr Gegenspieler, Geschäftsführer Frank Kadereit, ganz anders sieht: „Die Kostenbelastung durch die Gehaltserhöhung 2013 hätte das Jahresergebnis mit über einer Million Euro belastet, wenn die Notlagenregelung nicht gekommen wäre.“ Die Probleme bei der katholischen Konkurrenz, der Caritas, sind anders gelagert. Zwar wird auch dort über Geldmangel geklagt, eine Notlagenregelung gibt es aber nicht. Aus der stationären Pflege hält sich die Caritas in Mainz gänzlich heraus, betreibt jedoch drei Sozialstationen für die ambulante Versorgung. Der Stützpunkt in der Jägerstraße wurde kürzlich aufgelöst, die Mitarbeiter auf die übrigen Stationen verteilt, um Miete zu sparen. „Wir bringen für diese Arbeit rund 20 Prozent Eigenmittel auf“, sagt Anne Stein vom Mainzer Caritas Verband. Diese stammten aus verkauften Leistungen, der Kirchensteuer – und Sammlungen. Rund 240.000 Euro im Jahr landen dort im Spendensäckel. Kritiker wie der Autor Carsten Frerk („Violettbuch Kirchenfinanzen“) behaupten, der Kirchensteueranteil sei dabei der geringste, er betrage nämlich nur rund zwei Prozent. Die katholische Kirche muss auch in Mainz mit zurückgehenden Kirchensteuereinnahmen zurechtkommen. Im Jahr 2011 waren es 2,34 Prozent weniger als im Jahr davor. Und man war froh darum – es wurde mit einem größeren Rückgang gerechnet. Für die Kirchen ist das Modell, der Staat kassiert und erhält dafür eine „Gebühr zwischen zwei und vier Prozent, eine bequeme und auch kostengünstige Lösung. Sie macht ihr Geschäft kalkulierbar, im Gegensatz zu Ländern, wo christliche Glaubensgemeinschaften sich ausschließlich aus Spenden finanzieren müssen. Wie teuer ein eigenes Mitgliedsbeitragssystem kommt, zeigt sich in Österreich. Hier unterhalten die Kirchen eigene Steuerämter und müssen dafür rund zwanzig Prozent ihrer Gelder aufbringen. Nachdem die katholische Kirche in den letzten Jahren in die Kritik geriet, ausgelöst durch manche Skandale, muss sie sich immer häufiger für ihr Finanzgebaren rechtfertigen. So etwas ärgert den Mainzer Kardinal Lehmann ganz besonders: „Wiedererstandene und von verschiedener Seite geförderte so genannte atheistische Vereine nutzen natürlich diese Gelegenheit, um die Kirchen zu schwächen und sich selbst in den Vordergrund zu schieben.“ Die Debatte gewinnt an Schärfe, zumal die beiden großen Kirchen inzwischen weniger als zwei Drittel der Bundesbürger zu ihren Mitgliedern zählen. Lehmann nahm in seiner Silvesterpredigt 2009 Bezug auf den Missbrauchsskandal, der die katholische Kirche erschütterte und in der Folge zahlreiche Austritte nach sich zog: „Ich danke sehr herzlich allen, die ihrer Kirche trotz der schwierigen Lage die Treue gehalten haben und weiter halten.“ Ein bisschen klang es auch so, als hoffe hier ein Unternehmer, dass ihm seine zahlende Kundschaft erhalten bliebe.