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Jung und durstig: Rheinhessens neue Winzer


von Felix Monsees
Fotos: Daniel Rettig

Dass es in Rheinhessen mittlerweile nicht nur einige gute Weingüter gibt, sondern richtig viele und richtig gute, ist einer neuen Generation junger Winzer zu verdanken, die für frischen Wind im Weinberg sorgt. Die meisten davon sind in Mainzer Spuckweite. Wer will, muss für den Weingenuss die Stadtgrenzen nicht einmal verlassen.

Die Reflektionen der meterhohen Edelstahltanks tauchen den Raum in einen metallischen Glanz. Mittendrin steht Patrick Kampf mit Dreitagebart, Jeans, Arbeitsschuhen und einem Kapuzenpullover – Arbeitskleidung eines Jungwinzers – und zeigt durch die Halle, die wie eine sterile Fabrik wirkt. Hier lagert ein Teil des Weines – das Kapital der Familie Kampf – für das Patrick Kampf mit 25 Jahren bereits verantwortlich ist. Weingüter gibt es viele in Flonheim. Fast jedes Einfamilienhaus hier ist ein Weingut, ein Fassbauer oder sonst irgendwie mit dem Weinbau verbunden. Seit sechs Generationen betreibt Familie Kampf Landwirtschaft und Weinbau. Eine alte Fotografie im Wohnzimmer zeigt den Erbauer des Hofes mit seiner Sippe; Patrick Kampfs Ur-Großvater war damals noch ein kleiner Junge.

Rheinhessen: einst Masse statt Klasse
Patricks Vater Hanspeter ist gerade rausgefahren, um sich um die Äcker zu kümmern, zu denen auch eine Weihnachtsbaumzucht gehört. So lange der große Traktor noch funktioniert, besteht das Weingut als landwirtschaftlicher Gemischtbetrieb. Investiert wird aber nur noch in Wein. Und Patrick wird der erste Vollerwerbswinzer der Familie sein. So oder so ähnlich läuft das in vielen Betrieben in Rheinhessen. Viele Weingüter lassen ihre Trauben zu Massenweinen keltern, die im Supermarkt zu finden sind oder beliefern einen kleinen privaten Kundenkreis ohne hohen Qualitätsanspruch. Rheinhessen war zwar schon immer mengenmäßig das größte Weinbaugebiet Deutschlands, doch in Sachen Qualität konnte es lange nicht mit anderen Weinanbaugegenden konkurrieren. Mainzer Gaststuben servierten früher vor allem Rheingauer Weine. Doch seit einigen Jahren sind es Jungwinzer wie Patrick Kampf, die die Betriebe ihrer Eltern übernehmen und für frischen Wind in den Weinbergen sorgen.

Im Wingert gibt’s nichts zu rechnen
Der Wein in den Edelstahltanks ist der erste Jahrgang, den Patrick selbst abfüllen wird. Aber nicht nur die Tanks blitzen neu. Auch die Barrique-Fässer, in denen der Spätburgunder veredelt wird, stehen noch unbenutzt in der Ecke. Klotzig dominiert das neue automatische Büttensystem den Raum. Es ist nötig, um die Lese für die Trauben schonender zu gestalten. Kampf sagt: „Das schmeckt man“, und beschreibt bildlich, wie sich der Stress, den die Trauben beim Ernten erleiden, auf die Qualität des Weines auswirken kann und warum daher ein sanftes und leider sehr teures Büttensystem erforderlich ist. Jede Frage zum Weinbau kann der Jungwinzer ausführlich klären, jede Antwort sitzt hundertprozentig. Weinbau ist nicht nur sein Beruf, Kampf hat ihn auch studiert.
Für viele Jungwinzer ist das Studium der Oenologie in Geisenheim ein must-have. Die Freiheiten des Diplom-Studiengangs nutzte Kampf wie viele seiner Kollegen, um in verschiedenen Spitzenbetrieben, wie dem rheinhessischen Renommierbetrieb Wagner-Stempel oder einem Weingut in Kalifornien zu arbeiten. Die Art, wie man in Amerika Wein macht, mag er nicht. Zu technisch und zu analytisch, meint Kampf. Er nennt es „malen nach Zahlen“. Selbst setzt er auf die traditionelle Art des Weinmachens. Das bedeutet, Verzicht auf Stickstoffdüngung und Umstellung des Weinguts auf ökologische Landwirtschaft. So sollen die Trauben bald zu 100 Prozent per Hand gelesen werden. Das steigere die Qualität: „Was mir nicht gefällt, kommt auf den Boden.“ Wirtschaftlich ist das nicht. Beim Blick in die Buchhaltung schüttelt seine Mutter Martina noch mit dem Kopf. Aber wer Spitzenwein will, darf im Wingert nicht rechnen, sagt Kampf.

Verkostung im Pferdestall
Kampfs Kollektion besteht aus sechs Weinen. „Wir haben uns Rheinhessen auf die Fahne geschrieben“, beschreibt er sein Sortiment. Das bedeutet klassische Rebsorten der Region: Riesling, Scheurebe, Grau- und Weißburgunder. Etwas exotischer schmeckt der Sauvignon Blanc, der teilweise im Holzfass ausgebaut wurde. Rotwein wird es später auch geben. Seine Spätburgunderreben sind noch zu jung. Erst die älteren Rebstöcke bringen die Qualität, die ihn interessiert. „Mein Ziel ist es, einen ehrlichen Wein zu machen.“ Dann bittet der Jungwinzer, den Satz nicht zu notieren. „Weil Wein wird nicht gemacht, da wird nichts gemembelt“, beschreibt er mit eigener Wortkreation seine Philosophie. „Der Jahrgang wird einfach so, wie er ist, in die Flasche gebracht.“ Besonders bei der Scheurebe ist ihm das gelungen. „Die hat Würze, Schärfe, Frische. Richtig vielseitig“, freut sich der Winzer selbst. Neben seiner eigenen Kollektion gibt es auch weiterhin die Weine, die dem Geschmack der Stammkunden entsprechen, lieblicher Portugieser beispielsweise. „Am liebsten würde ich bei jedem Wingert ernten, wann und wie ich will.“ Doch die Stammkunden – die etwa 95 Prozent der Flaschen kaufen – will Kampf mit dem neuen Stil seiner Weine „nicht vor den Kopf stoßen. Ich schätze dann doch zu sehr die Voraussetzungen, die mein Vater geschaffen hat.“ Auch wenn Patrick Kampf seine eigene Vorstellung von Wein durchgesetzt hat, machen Vater und Sohn alle Schritte im Wingert gemeinsam. Hanspeter Kampf bringt vor allem Gefühl für die Lagen, den Boden und die Witterung mit und hat etwas, was seinem Sohn noch fehlt: jahrelange Erfahrung.

Weinprobe in Loungemöbeln
Zurück in Mainz: Keines der Vintage-Möbel im Lomo bleibt unbesetzt. Das Kellergewölbe der Bar am Ballplatz ist gut gefüllt. 60er-Jahre Lounge-Musik und die blau-gelben Projektionen der Lava-Lampen auf dem Rauputz verstärken den Rausch des ersten Glas Rieslings am Abend: eingeschenkt von Philipp Wedekind. Der Jungwinzer – vom Weingut in Nierstein, benannt nach seinem Familiennamen – gehört zu den 15 Gleichgesinnten von der Jungwinzer-Vereinigung Roter Hang, die im Lomo die Riesling-Lounge veranstalten. Gerade lässt DJ Chappi Nancy Sinatra so laut ihren Summerwine besingen, dass sich Wedekind näher beugen muss, um die Idee hinter dem Event zu erklären. Jeden zweiten Dienstag im Monat – von Oktober bis April – präsentieren jeweils drei Winzer vom Roten Hang, der Niersteiner Toplage, zwei ihrer Weine zur Verkostung. Der Name der Veranstaltung wird nicht zu ernst genommen, es wird mehr als nur Riesling probiert. Heute macht besonders der feine Grauburgunder vom Weingut Fritz Ekkehard Huff den anwesenden Rieslingen große Konkurrenz. Auch Bier wird theoretisch ausgeschenkt. Die Nachfrage nach dem Gerstensaft bleibt an den Abenden aber gering. „Weil der Wein so gut schmeckt“, ist sich Wedekind sicher.

Weingenuss ohne Hemmschwellen
Der Ursprung der Riesling-Lounge liegt auf dem Roten Hang, genauer gesagt auf seinem höchsten Punkt: Der Fockenberghütte. Von hier aus fällt der Blick nicht nur auf den Rhein, man hat einen Überblick über den gesamten Roten Hang. Den Namen verdankt die Steillage dem Rotliegenden, dem Gestein, aus dem sie überwiegend besteht. Hier geht die Open Air Riesling-Lounge steil. Seit drei Jahren findet die Weinparty auch in Mainz statt, nur ohne den Panoramablick über Rhein und Hang. Die Platten legt hier wie dort DJ Chappi auf, der wie der Wein aus Nierstein stammt. Die Atmosphäre der Riesling-Lounge macht für den DJ das bunt gemischte Publikum aus, welches deutlich jünger ist, als bei anderen Wein-Veranstaltungen. Und vor allem: „Frauen sind besser betrunken, wenn sie Wein trinken und keine Kurzen“, sagt DJ Chappi … Das Publikum war für die Niersteiner Winzer auch ein Grund, nach Mainz zu gehen, denn hier sind die zukünftigen Kunden. Erklärtes Ziel der Riesling-Lounge ist es, junge Leute an den Wein zu bringen. Deshalb wird der Wein auch unkompliziert ohne Dekantieren oder andere Hemmschwellen verkostet. Saufstimmung kommt trotzdem nicht auf. Das Ergebnis der Verkostung ist für Wedekind eine „Niveauvolle Party mit genialem Ambiente.“
Die Winzer vom Roten Hang sind ein lockerer Freundeskreis, der sich noch aus dem Sandkasten oder vom Hörsaal kennt. Auch die Niersteiner Jungwinzer haben in Geisenheim studiert. „Das Band, das alle zusammenschweißt, ist der Rote Hang“, erklärt Steffen Müller. Der 35-Jährige trägt ein Hemd mit dem Roten Hang-Logo, steht hinter der Lomo-Theke und serviert einem jungen Pärchen – Mitte Zwanzig – zwei Probierschlücke. Er vertritt an diesem Abend nicht nur sein eigenes Weingut Müller-Schwabsburg, sondern auch das seiner Schwiegereltern, Georg Albrecht Schneider. Das Besondere am Roten Hang sind die namensgebenden Felsformationen aus grauer Urzeit, erklärt Müller die hohe Qualität der Weine: „Der Boden hat weniger Nährstoffe, deshalb hat der Riesling dort ein ausgeprägtes Aroma.“ Pfirsich- und Grapefruit-Aromen bilden den roten Faden vom Roten Hang, der sich durch alle Weine der berühmten Steillage zieht.

„Die Rheingauer waren immer schon ein wenig spritziger“
„Die Rheinhessen machen mittlerweile guten Wein“, findet auch Dirk Seefried. Der Event-Manager betreibt seit 20 Jahren Gastronomie in Mainz und nennt sich selbst eine „kleine Koryphäe“. Vor allem durch den Rheinstrand ist er in Mainz bekannt geworden. Dieses Jahr veranstaltet er zum ersten Mal die Mainzer Weintage. Vom 10. bis 13. Mai werden am Rhein zwischen Theodor Heuss-Brücke und Kaisertor rheinhessische Winzer ihre Weine auf dem Fußweg unter den Platanen präsentieren. Darunter auch viele Jungwinzer, die Seefried dafür schätzt, dass sie risikoreich sind und neue Ideen mitbringen. Im Marketing könne man aber noch von den Kollegen auf der ebsch Seit´ lernen: „Die Rheingauer waren immer schon ein wenig spritziger.“ Ausgerechnet bei einem Besuch auf dem Wiesbadener Weinfest kam die Idee, vergleichbares in die Mainzer Innenstadt zu holen. Für die nötige Inspiration sorgte Seefrieds Freundin, die kommt von der Mosel und ist dementsprechend Weinfest-gestählt. Dass rheinhessischer Wein sein verstaubtes Image verloren hat, hat auch Seefried beobachtet. „Ich war letztes Jahr seit ewigen Zeiten wieder auf dem Mainzer Weinmarkt, das Publikum ist viel bunter geworden.“ Auch an den Weintagen sollen jüngere Genießer angezogen werden, dafür sorgen drei Bühnen mit Unterhaltung. „Nicht zu laut und nicht zu leise, so dass jeder seinen Spaß hat.“ Der Veranstalter stellt sich einen Weingenuss vor, der nicht altbacken ist. „Wenn wir ein bisschen schönes Wetter haben, dann wird das klasse.“

Von der Brachfläche zum Spitzenwein
In Flonheim ist das Wetter Mitte April nicht schön. Es regnet, nur vereinzelt brechen Sonnenstrahlen durch die Wolken. Die vorherrschende Farbe im Weinberg ist braun. Noch kein Blatt und keine Traube sind an den Weinstöcken zu sehen. Patrick Kampf stampft durch den Matsch der besten Lage Flonheims: La Roche. Seit drei Jahren erst wachsen hier wieder die Reben der Familie Kampf. Die Fläche lag lange brach, die Arbeit in der Steillage war zu aufwendig. In ein oder zwei Jahren will Kampf seinen Riesling Flonheimer La Roche auf die Flasche bringen, bis zu 20 Euro wird sie dann kosten. Er spielt mit ein paar Gesteinsbrocken, die zwischen den Rebstöcken liegen. „Was oben liegt, spiegelt unten wider“, erklärt der Winzer. Wie im Niersteiner Roten Hang ist La Roche vom Rotliegenden geprägt. Einen Mini-Roten Hang nennt der Winzer seine Lage, nur dass unten der Wiesbach fließt und nicht der Rhein. Im Steinbruch, einen Hügel weiter, kann man den gleichen roten Sandstein mit den Schiefer-Einsprüngen erkennen. Das Gestein wird für den mineralisch-spritzigen Geschmack im Riesling verantwortlich sein. Kampfs Ziel ist es, die Einzigartigkeit und Vielfältigkeit der Böden herauszuarbeiten und in die Flasche zu füllen. Dieses Jahr sind die Trauben aus der Lage noch im Gutsriesling verschwunden.

Im Wingert zählt die Handarbeit
Mitte Mai werden die Flaschen von Patrick Kampfs erster Kollektion abgefüllt und gehen in den Verkauf. Dann ist der Jahrgang 2011 fertig, solange wird sich Kampf auf die Reaktionen zu seinem Werk gedulden. Wer ihn trinken will, muss nach Flonheim kommen. Noch gibt es keinen Händler, der seine Weine führt. Im Wingert steht bereits die Arbeit für den neuen Jahrgang an. Die Rebstöcke werden gebunden und zwar flach, das ist sehr aufwendig und mindert den Ertrag, aber schafft beste Bedingungen für die Trauben. Jeder einzelne Rebstock wird per Hand gebunden. 20 bis 30 Stunden dauert das pro Hektar Rebfläche und Kampfs stehen 12 Hektar zur Verfügung. Tagelang steht er dann bei Wind und Wetter im Weinberg mit seinem MP3-Player im Ohr und biegt die Reben zurecht. Das Binden muss sorgfältig geschehen, um die jungen Triebe nicht zu verletzen. Dafür gilt der gleiche Grundsatz, der bei Kampf für den kompletten Prozess des Weinmachens gilt: „Es ist nicht so einfach, aber anders geht es nicht.“