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Jedes Jahr im Frühling – Heuschnupfen: Alles blüht und alle niesen

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von Meike Hickmann und Michael Zellmer (Foto)

Als Erstes beginnen die Augen zu tränen und zu jucken, wenn Lukas Herzog im Frühling rausgeht. „Aber richtig unangenehm wird es erst Stunden später“, sagt er. Vergangenes Frühjahr sei es richtig nervig gewesen. „Ständig musste ich husten, da schläft es sich dann nicht mehr so gut.“ Auch Janine Bonifer hat Heuschnupfen, häufig lässt sie deshalb das Joggen am Rhein in April und Mai lieber sein. „Ich bekomme dann einfach schlecht Luft und muss ständig niesen.“ Raus geht sie aber trotzdem. „Soll ich in der Plastikkugel leben, oder was?“, meint sie scherzhaft. Es würde sowieso nicht viel nützen, zum Stubenhocker zu werden – gegen die Bäume vor ihrer Wohnung in der Neustadt sei sie nämlich auch allergisch.

Gut ein Drittel der Menschen in Industriestaaten haben mindestens eine Allergie. Und es wird immer mehr: Pro Jahrzehnt hat sich die Anzahl von Allergikern in den letzten hundert Jahren verdoppelt. Ganz besonders nehmen Asthma und Rhinitis zu – Atemwegsallergien gegen Tierhaare, Pollen und Gräser, letzteres bezeichnet man umgangssprachlich als „Heuschnupfen“. Eine zusätzliche Belastung für Allergien sind die immer milderen Winter in Deutschland.

Der Deutsche Wetterdienst meldete Pollenflug von Erle und Hasel bereits im Dezember. Auch der viele schlauchende Pollenflug der Birke soll dieses Jahr früher beginnen. „Vor allem heißt der frühe Beginn des Pollenfluges ja nicht, dass er früher aufhört“, meint Ludger Klimek, Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie in Wiesbaden. Besonders empfindliche Patienten bekommen auch noch viele Kräuter und Gräser im Herbst zu spüren – eine schwere gesundheitliche Belastung.

Überempfindliche Abwehrkräfte

Eine Allergie entsteht durch eine Fehlsteuerung des Immunsystems. Beim ersten Kontakt mit eigentlich harmlosen Pollen werden diese wie Krankheitserreger behandelt. Besonders gerne reagiert das fehlgeleitete Immunsystem auf Stoffe, die vor allem in der frühen Kindheit, während der Ausprägung der erworbenen Körperabwehr, nicht in der Umwelt des Patienten vorkamen. Wer nie mit Erdnüssen in Berührung kam, kann auch nicht gegen sie allergisch sein. Jedoch kann er es leicht werden, wenn er welche isst, weil der Körper die Erdnüsse nicht kennt. Besonders wahrscheinlich wird eine solche Reaktion, wenn das Immunsystem sowieso aufgrund einer Krankheit auf Hochtouren läuft.

„Der Moment, wann das Abwehrsystem diese Fehler macht und sich verändert, ist aber reiner Zufall“, sagt der Professor vom Allergiezentrum. Sarina Fischer saß als Sechsjährige damals mit ihrer Schwester im Planschbecken, als die Mutter den Rasen mähte. „Sie hat mir erzählt ich hätte plötzlich komisch geguckt und wäre ganz blau geworden“, sagt Fischer. „Ich hatte wohl einen Asthmaanfall, zum Glück hat meine Mutter das erkannt und hatte das richtige Medikament im Haus.“ Seitdem war klar – Fischer hat Heuschnupfen. Als Kind litt sie sehr darunter, hatte häufig Asthma und war noch gegen Baumpollen und Tierhaare allergisch. „Eben einfach alles, was so rumfliegt“, sagt sie.

Mehr mit der Natur leben

„Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Zahl der Allergiker mehr als verdreifacht“, weiß Klimek, Professor für Allergologie und Rhinologie. „Warum, dazu gibt es verschiedene Theorien.“ Als besonders ausschlaggebend sieht er die so genannte Umwelt- oder Hygienetheorie an. „Die dreifach verglasten Fenster, die Sauberkeit, die desinfizierten Lebensmittel – das schützt zwar alles vor Keimen, aber offensichtlich wird unser Immunsystem nicht genügend stimuliert“, sagt Klimek. Denn je mehr man als Kind mit Krankheitserregern in Kontakt kommt, desto mehr Abwehrzellen für die richtige Krankheitserreger-Bekämpfung werden gebildet.

Bleibt das aus, werden die gleichen Abwehrzellen stattdessen so ausgebildet, dass sie auf spätere Kontakte mit Parasiten oder unbekannten Stoffen mit Entzündungsreaktionen reagieren. Das macht das Immunsystem dann überempfindlich. „Studien haben gezeigt, dass Kinder in China, die mit offenen Fenstern und auf Lehmböden wohnten, so gut wie keine Allergien entwickelten – sobald diese Familien in die Stadt zogen, entstanden welche“, erklärt Klimek. „Ein weiteres Beispiel ist die DDR: Da dort hygienisch schlechtere Zustände waren, gab es da vor der Wiedervereinigung kaum Allergien, danach glich sich das Niveau an.“

Unser Hygienestandard lässt sich natürlich nicht einfach abschaffen, niemand will wieder auf Lehmböden schlafen oder extra wenig putzen. „Aber es würde schon helfen, Kinder ab und zu auch mal im Dreck spielen zu lassen und vor allem nicht immer sofort Antibiotika zu geben, wenn sie mal krank sind“, sagt Klimek. „Ein bisschen mehr mit und in der Natur leben – und schon spielen die Zellen nicht so sehr verrückt.“ Außerdem sei es wichtig, ein Neugeborenes mindestens vier bis sechs Monate zu stillen. „Das verringert die Wahrscheinlichkeit, eine Allergie zu bekommen, deutlich“, rät Klimek. „Das Immunsystem wird dabei aktiviert und die Antikörper der Mutter weitergegeben.“

Kai Jahns ist in Schwabenheim auf dem Land aufgewachsen, hat als Kind immer draußen gespielt und geht heute noch gerne raus. Heuschnupfen und andere Allergien hat er trotzdem – über die Genetik. Seine Eltern sind Allergiker, das heißt er hatte eine Wahrscheinlichkeit von etwa 70 Prozent, ebenfalls eine Allergie zu entwickeln. Kinder mit nur einem allergisch reagierenden Elternteil haben immer noch ein Risiko von 30 Prozent. So führen die Gene ebenfalls zu einem Anstieg der Allergiker – je mehr Allergien vorkommen, desto mehr vererben sie sich auch. „Manchmal im Mai gehe ich raus und muss eine Viertelstunde lang nur niesen – das kann einem schon den Tag verderben. Oder ich gehe mit einer kurzen Hose durchs Gras und alles fängt an zu jucken.“

Kurzfristig können verschreibungsfreie Antihistaminika wie Cetirizin oder Lorano helfen. Diese Mittel verhindern aber nur die Ausschüttung des Entzündungsbotenstoffs Histamin. Die akute Reaktion wird unterdrückt – Spätreaktionen wie chronische Atembeschwerden treten trotzdem auf, da diese durch angeborene Abwehrzellen unabhängig vom Histamin stattfinden. Hier hilft Cortison, das unterdrückt auch die späten Auswirkungen, ist aber auch nicht immer ganz unproblematisch. Klimek empfiehlt gerade Heuschnupfen-Patienten deshalb häufig Antihistaminika und Cortison-Nasenspray. „Es ist wichtig, die Schleimhäute zu schützen, sonst entstehen dauerhafte Schäden“, sagt er. „Man muss nicht immer denken, das aushalten zu müssen.“

Auf Dauer hilft langfristige Therapie

Auf lange Sicht hilft eine Hyposensibilisierung oder Immuntherapie, was auch von den Krankenkassen übernommen wird. Dabei wird der Körper langsam an das Allergen gewöhnt. In regelmäßigem Abstand wird dabei ein Stoff unter die Haut gespritzt, der zum Beispiel an einem Birkensamen dran ist. So merkt das Immunsystem, dass es auf etwas Harmloses überreagiert, die (hypernervösen) Abwehrzellen fallen in eine Art Dornröschenschlaf oder begehen Selbstmord.

Sarina Fischer hat diese Therapie mit 14 Jahren begonnen, es hat drei Jahre gedauert und sie hat es mit Anfang zwanzig nochmal auffrischen lassen. „Jetzt bin ich praktisch beschwerdefrei, zum Beispiel was Tierhaare angeht“, erzählt die heute 25-Jährige. Auch der Heuschnupfen hat sich deutlich verbessert. „Rasen mähen ist aber immer noch ein rotes Tuch für mich“, meint sie schmunzelnd.

Je früher eine Desensibilisierung nach Allergieausbruch angefangen wird, desto besser, rät Klimek vom Allergiezentrum Wiesbaden. „Dann funktioniert das mittlerweile auch bei Tierhaaren prima.“ Er hätte zum Beispiel auch Tierärzte und –pfleger in Behandlung. „Wichtig ist nur, zu Beginn der Therapie möglichst wenig Kontakt zum Allergen zu haben.“ Die durch warme Winter bedingte Ausdehnung des Pollenflugs erschwert deshalb auch die Behandlungsmöglichkeiten für Heuschnupfen.

Auch viele neu eingeführte Pflanzen und Mehrfachallergien machen die Therapie immer aufwendiger. „Aber gerade an Immuntherapien forschen wir sehr viel“, sagt der Professor. „Wir versuchen das immer besser und gezielter und für den Patienten angenehmer zu machen.“ Trotzdem es immer mehr Allergiker gäbe, bliebe die Unterstützung vom Staat aber gering. „Da würden wir uns noch etwas mehr wünschen, um noch bessere Therapien zu ermöglichen“, sagt Klimek.