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Interview: Staatstheater-Intendant Markus Müller über die neue Gastronomie, Kultur und Boote

Ihr habt gerade das Haus des deutschen Weines direkt neben dem Theater übernommen. Was erwartet einen dort?
Wir haben das Restaurant vorerst bis Mai übernommen. Der bisherige Betreiber hatte im Oktober aufgehört. Das Haus muss dringend saniert werden, bevor wir evtl. nach dem Sommer voll anfangen können: also in einer neuen Einrichtung und einem eigenen Ambiente, mit Einführungen zu den Stücken, kleineren Veranstaltungen wie Lesungen und Liederabenden in der oberen Etage, der großen Terrasse und vielem mehr. Aktuell kann man dort immerhin wieder speisen. Wir bieten einen Mittagstisch und eine sehr gute Speisekarte sowie ausgezeichnete Weine.

Kulturell stellt sich das Theater auch breiter auf denn je, von Lesungen bis Diskussionen u.v.m. Wie viel klassisches Theater ist es noch im Kern?
Ich finde ein Theater soll ein kommunikatives Zentrum und kultureller Mittelpunkt der Stadt sein. Wir spielen weit mehr Stücke und Stoffe als früher und haben die Besucherzahlen in jeder Spielzeit steigern können. Die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Themen war und ist uns ergänzend zum Spielplan sehr wichtig. Wir laden zum Diskurs ein über das, was uns umtreibt: vom Klimawandel über die Europa-Diskussion, das Erstarken der neuen Rechten, den wachsenden Antisemitismus und vieles mehr. Das ist neben dem klassischen Theater auch unsere Aufgabe.
Als Intendant gelten Sie mehr als Manager-Typ denn Künstler. Wie sehen Sie das?
Meine Aufgaben als Intendant sind vielfältig. Ich muss Themen setzen, Rahmenbedingungen schaffen und die richtigen Menschen zusammenbringen. Das bedingt ein hohes Maß an Kommunikation. Ich bin in sämtliche Prozesse und Vorgänge in diesem Haus eingebunden. Angefangen beim Spielplan, bei allen Vertragsgesprächen, bei Modellpräsentationen, beim Probenstart, bei Endproben usw. Ich versuche vieles zu bündeln und meine Einschätzung zu Stücken zu geben, aber ansonsten im Team zu entscheiden, was läuft und was nicht und wie es besser werden könnte. Wenn man den Job ernst nimmt und will, dass Qualität auf die Bühne kommt, ist es daneben kaum noch möglich, selbst zu inszenieren, selbst wenn ich wollte.

Wie finden die Mitarbeiter Ihr Engagement bei sämtlichen Prozessen?
Schwer zu sagen. Ich will mich nicht überall einmischen. Aber ich muss überzeugt sein, dass die Idee trägt. Ich habe keinen Kontrollzwang. Unser Haus kann nur überleben, wenn jeder Einzelne viel Verantwortung übernimmt. Denn es geht auch darum, bei schmalem Budget das Potenzial voll auszuschöpfen. Natürlich scheitert man auch mal oder Erwartungen lösen sich nicht ein. Aber wir arbeiten daran. Die Summe ist das Destillat eines langen kommunikativen und streitbaren Prozesses.

Was ist das Besondere an Mainz beim Theatermachen?
Hier ist Mundpropaganda sehr wichtig. Es dauert oft ein wenig, bis sich die Stücke herumgesprochen haben. Man weiß nicht immer vorab, was funktioniert und was nicht. Auch unbekannte Stücke können besser laufen als gedacht. „The Producers“ etwa läuft großartig. Die Menschen hier sind gerne im Gespräch. Daher ist das mit der Gastronomie auch so wichtig für uns – als eine Chance, einen guten Raum zu schaffen und ein Gesamterlebnis zu ermöglichen. Mittlerweile kommen übrigens auch mehr Besucher von Frankfurt nach Mainz als andersherum.

Wie kamen Sie zum Theater?
Ich komme aus einem Dorf im Allgäu, wo es mehr Kühe als Menschen gibt. Mit 15 Jahren habe ich dort angefangen Theater zu spielen. Meine Eltern hatten damit nichts zu tun. Mir war es wichtig, eine eigene Welt zu finden. In Bamberg, Erlangen und Mannheim habe ich dann BWL, Theaterwissenschaften, Germanistik und Philosophie studiert. Währenddessen habe ich immer am Theater gearbeitet, anfangs als Regieassistent und Regisseur. In Mannheim kam der Wechsel in die Intendanz. Und im Jahr 2000 plötzlich zusätzlich für ein Jahr kommissarisch die Aufgaben des technischen Direktors und Personalchefs. Das war fantastisch: zum ersten Mal nicht nur die künstlerische Seite zu gestalten – sondern das technisch und strukturell umzusetzen, was künstlerisch erforderlich ist. Dabei habe ich gelernt, dass Führung bedeutet, zu moderieren, zu koordinieren und gut zu kommunizieren. Das hat mich bis heute geprägt.

Sie sind im sechsten Jahr in Mainz und wurden bis 2026 verlängert. Wie viele Wechsel wird es für Sie noch geben?
Das wichtigste ist, dass sich keine Zufriedenheit einstellt. Ich bin über vieles hier sehr glücklich. Aber die Arbeit muss eine Herausforderung bleiben. Es ist viel in Bewegung und wir haben zahlreiche Ideen für die Zukunft. In Mainz ist spartenübergreifend noch einiges möglich. Wenn ich gesund bleibe, werden sich im Anschluss wohl noch zwei bis drei Stationen anschließen. Aber das ist in den nächsten Jahren nicht mein Thema. Ich habe alle Anfragen von außerhalb immer direkt abgesagt und freue mich hier auf alles, was kommen mag.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich gehe gern raus in die Natur und bin gerne am Wasser. Ich lebe mit meiner Tochter direkt am Fluss und genieße die Weite und den Blick auf den Rhein, bin gern unter Menschen, immer neugierig und gespannt auf gute Geschichten. Deshalb besuche ich gerne Weinstuben, das Bootshaus und natürlich künftig auch viel das HDW. Zum Ausgleich laufe ich gerne und regelmäßig mit meinen Kollegen und nutze mein uraltes kleines Motorboot, um auf die ein oder andere Rheininsel zu fahren und in Ruhe neue Stücke und Stoffe zu prüfen.

Wie würden Ihre Mitarbeiter sie beschreiben?
Nimmt sich viel vor. Redet zu lang. Kommt manchmal zu spät. Offen. Neugierig. Zuverlässig. Teamplayer. Achillesferse: E-Mails! Tür immer offen und man kann ihn immer ansprechen. Und: Es ist anstrengend. Denn alle hier haben seitdem ich da bin mehr Arbeit als früher.

Welche gesellschaftlichen oder im Theater gespiegelten Themen bewegen Markus Müller persönlich?
Ich persönlich mag Stücke und Stoffe sehr, die zeitlose Gültigkeit mit ästhetischer und sprachlicher Sinnlichkeit verbinden. Das können die großen antiken Tragödien sein, oder Theaterautoren wie Shakespeare, Büchner und viele moderne Klassiker sowie heutige Autoren mit kraftvoller Sprache wie etwa Dea Loher. Gesellschaftlich und politisch halte ich unser Zusammenleben in Europa für eine elementare Frage. Ein weiteres großes Thema ist die Frage, wie wir eine wirklich offene Gesellschaft werden und Migration als Bereicherung erleben können. Was bestimmt unser Denken? Wie steht es in unserer Welt um das Verhältnis von Glauben und Wissen? Wie gehen wir miteinander um? Wer hat die Interpretationshoheit über die Wirklichkeit – und wer traut sich endlich wieder, visionäre Ideen zu entwickeln und zu vertreten? Das und vieles mehr beschäftigt mich.

Interview David Gutsche Foto Jana Kay