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Geteiltes Glück – Die neue Philosophie des Teilens

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Text: Jo Gather, Fotos: Katharina Dubno

„Geiz ist geil“ war vor einigen Jahren der Slogan eines großen deutschen Elektrogerätevertreibers. In jüngster Zeit bahnt sich ein Trend an, der diese Aussage in Frage stellt. Immer mehr Menschen wollen gerne teilen. Und schenken. Sie teilen die Suppe, von der ein halber Topf übrig blieb, sie verschenken Bücher und Kleidung und Pflanzen und was ihnen sonst noch als „zu viel“ erscheint. Sie finanzieren im Schwarm die guten Ideen anderer Menschen, fahren auf gelben gemieteten Fahrrädern durch die Stadt und stellen ihr Sofa fremden Reisenden zur Verfügung. Wie alle Trends, die mittels medialer Verbreitung von Hand zu Hand gereicht werden, hat auch dieses Kind einen Namen: Share Economy bzw. Share Community bzw. auf Deutsch: KoKonsum. Ko steht für „kollaborativ“ und darum geht es den Beteiligten: Nicht mehr jeder muss alles haben, Zugang ist wesentlicher als Besitz. 90 Prozent der Produkte, die wir zu Hause haben, verwenden wir weniger als eine Stunde im Monat. Und im Durchschnitt hat jede Person 40 teilbare Gegenstände in ihrem Haushalt. Berühmtestes Beispiel ist die oft zitierte Bohrmaschine, die wenige Minuten ihrer Lebenszeit aktiv benutzt wird und viele Stunden und Tage im Schrank vor sich hin verstaubt. Warum also nicht Aufkleber an den Briefkasten kleben, die den Nachbarn mittels Symbolen anzeigt, dass sie den Bohrer gerne leihen können? Einstmals ein Phänomen armer Gesellschaften, in denen Mangel herrscht, wird nun das Tauschzirkel-Prinzip unter gut situierten Großstädtern salonfähig. Was ist passiert? Zum einen wirkt das Internet als Verstärker der KoKonsumierer: Sharing-Start Up Unternehmen schießen wie Pilze aus dem Web 2.0-Boden und helfen den Menschen beim geschmeidigeren Teilen. Zum zweiten ist da ein gewisser Überdruss gegenüber dieser „Immer.Alles. Sofort“-Mentalität. Dazu kommt ein steigendes Bewusstsein für die Endlichkeit und Ambivalenz von vielem, was wir tagtäglich konsumieren: Rohstoffen für technische Gadgets mit eingeplanten Sollbruchstellen, Billigklamotten aus fernen Ländern und Bergen von Lebensmitteln, die uns im Supermarkt der Wahl erwarten. Unterhält man sich mit Menschen, die sich dem KoKonsum verschrieben haben, kommt einem der Spruch: „Glück ist das einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt“ nicht mehr wie eine Poesiealbum-Lyrik vor. Teilen scheint tatsächlich glücklich zu machen. Bestätigt übrigens auch die Wissenschaft: Die Mär vom egoistischen Raubtier Homo Sapiens ist widerlegt. Menschen sind soziale Tiere mit großem Neokortex und somit biologisch dazu bestimmt, zu kooperieren und Bindungen in sozialen Gemeinschaften einzugehen. Diese Bedürfnisse kommen in der Stadt oftmals zu kurz. Vorbei sind die Zeiten der Großfamilien, immer mobiler wird der moderne Großstadtmensch und damit auch immer losgelöster aus verbindlichen Strukturen. Das ist ein drittes Geheimrezept der wachsenden Beliebtheit der Share Community. Denn hier finden Begegnungen statt. Da verabredet man sich zur Übergabe der Kompaktanlage am Bahnhof, und dann verquatscht man sich auf einmal mit einem Wildfremden und hat eine Geschichte mehr zu erzählen.

Der Netzwerker Mainz hat mit über 19.000 Mitgliedern bundesweit eine der größten „Free your Stuff“-Gruppen auf Facebook. Im Minutentakt werden hier „Needs“ und „Gives“ gepostet, beinahe nichts ist zu skurril, um einen neuen glücklichen Besitzer zu finden – von 5x500g gefrorene Lunge für den geneigten Hundebesitzer über eine Rolle grüner Maschendrahtzaun bis zum kompletten Hochbett. Initiator der Seite und „Admin“, also Hüter darüber, ob das zugrundeliegende Teilprinzip auch von allen Beteiligten eingehalten wird, ist der 23-jährige Politikwissenschafts-Student Simon Neumann. Gerade mal zwei Monate war Simon von Trier nach Mainz gezogen, da hat er bereits die erste Sharing-Gruppe auf Facebook gegründet. Inzwischen betreut er mehrere Sharing-Gruppen in Mainz und hilft mit seinen Erfahrungen in anderen Städten beim Aufbau eigener Free-yourstuff- Gruppen. Klar gibt es bei einer Gruppe in der Größe auch mal schwarze Schafe, die etwa geschenkte Sachen an anderer Stelle weiterverkaufen wollen. Doch die Regeln sind einfach und deutlich auf der Seite präsentiert und die Gruppe reguliert sich von selbst. Fehlverstöße werden umgehend an die Administratoren gemeldet und wer sich nicht an das Free-Prinzip hält, wird vorgewarnt und fliegt raus, wenn weitere Fehlstöße vorkommen. Simon ist Überzeugungstäter. Einer, der nicht lange fackelt, sondern macht. Es geht ihm um eine Reduktion von Müll im großen Maßstab, ein längeres Verwenden von Dingen, die noch gebraucht werden können. Gleichzeitig weiß er: „Man muss nicht unbedingt kritisch konsumieren, nachhaltig denken um da zu agieren, sondern man kann auch einfach denken ‚Ich hab nicht viel Geld und ich brauch ‚nen Schrank‘, also stell ich da mal einen Need rein und dann hat man irgendwann einen Besteckkasten abzugeben und dann stellst du das auch rein. Das ist ein Geben und Nehmen.“ Er selbst nutzt die Seite natürlich auch. So hat er sich für seine letzte WG-Party über Free-your-stuff eine Diskokugel geliehen und für seine letzte Reise einen Handgepäckkoffer. Eine weitere Gruppe, die Simon auf Facebook gegründet hat, war der Mainzer Ableger der „Foodsharer.“ Auch hier geht es ums Teilen und Reduzieren von Müll, ganz konkret: von essbarem Müll.

Nischengeschichten In Zeiten knapper Staatskassen und Schuldenbremse ist der Kultursektor nicht der erste, der ein großes Stück von der Finanz- Torte abbekommt. Viele gute Ideen versauern in Schubladen, weil das Geld für ihre Produktion fehlt. Doch auch hier hat sich durch die Share-Community einiges getan, das Zauberwort heißt „Crowdfunding“. Viele Einzelpersonen finanzieren gemeinsam das Musikalbum, den Film, die Reportage, die sie gerne hören, sehen, lesen wollen. Größte deutsche Crowdfunding-Plattform ist startnext. de. Fast 10 Millionen Euro wurden hier bereits gesammelt, über 1500 Projekte erfolgreich unterstützt, und dabei ist die Seite gerade mal vier Jahre jung. Sebastian Jansen (26 Jahre) ist Absolvent der FH Mainz und glücklicher Crowd-Gefundeter. Für seinen Abschlussfilm „Das Mädchen von Kasse 2“ gelang es ihm, die fehlenden 5.000 Euro durch Einzelspenden auf startnext zu sammeln. Auch beim Crowdfunding herrscht die Philosophie eines Gebens und Nehmens. Die Spender erhalten, je nach Höhe ihrer Unterstützung, entsprechende „Dankeschöns“. Das reichte von einer DVD über ein Menü vom Regisseur bis zur Sprechrolle im Film. Für Sebastian liegt der große Charme dieser Art der Finanzierung in der Möglichkeit, Geschichten jenseits vom öffentlich-rechtlich-förderfähigen Mainstream zu erzählen. Ein Nischenmarkt eben.

Fahrräder & Bücher zum mieten Wer nun denkt, alles was geteilt werden will, muss zuerst durchs Internet, sei beruhigt. Es gibt sie auch, die analogen Tauschoptionen. Einige sind gelb, mobil und inzwischen fester Bestandteil des Mainzer Stadtbildes geworden. Als vor drei Jahren die Andockstationen für die MVG-Räder wie Pilze aus dem Boden schossen, war manch einer skeptisch: Gibt es tatsächlich einen Markt für Menschen, die kein eigenes Rad wollen, sondern lieber jedes Mal ein neues leihen? Aber der Erfolg gibt den Verkehrsbetrieben recht: 15.500 registrierte Fahrrad-Leiher haben sich im vergangenen Jahr zusammengelegt 340.000mal auf die gelben Drahtesel geschwungen. Und die MVG geht für 2014 von noch höheren Zahlen aus. Und auch der immer volle Bücherkasten am Rhein zum Beispiel ist seit Jahren ein Beweis dafür, dass nicht alles vandaliert wird, was nicht nachts bei Drei auf den Bäumen ist. Vielmehr wird diese öffentliche Minibibliothek liebevoll gehegt und gepflegt und mit einem nicht enden wollenden Strom neuer Bücher versehen, die mitgenommen werden wollen. Oder der Metzger, der einem neben der Fleischworscht auch noch eine Auswahl seiner Lieblings-DVDs zum kostenlosen Probesehen mit nach Hause gibt. Allüberall wird geteilt. Foodsaverin Leila bringt es schön auf den Punkt: Teilen bringt neues Teilen hervor. Und macht glücklich. Versprochen!

Noch bis zum 15. Mai findet übrigens die Rheinland-Pfalz Tischtausch-Aktion statt. Küchen- und Wohnzimmer-Tische wurden getauscht und stehen nun als Gast in einem fremden Haus und bereit, mit Ihren Gastgebern Gäste zu empfangen. Gäste sind u.a. Personen, die ihren Tisch auch tauschten und Personen, die neugierig und offen sind und die Menschen um die Tische besuchen möchten. Interessierte rufen an / mailen, wann Sie willkommen sind. Überall im Land liegen Flyer mit den Kontaktdaten der TischGastgeber aus. Ab dem Zeitpunkt, wo Gäste, Beobachter, Kunstinteressierte mit dem Projekt in Berührung kommen, liegt es in der Händen der Gäste sowie Gastgeber, was sich entwickeln wird. Was, wenn sich Gäste melden, oder gar vor der Tür stehen? Was sie bieten wollen und können, wird auf dem Tisch stehen (im Kontaktgespräch kann im Voraus klar verhandelt werden, was der Gesundheit abträglich oder sonst fehl oder richtig am Platz wäre). Das Gastgeschenk kommt dazu und los geht es – das Kennenlernen. Ein Tisch in Mainz steht bei clara.woersdoerfer@web.de. Weitere Tische in RLP unter blog.tischtransaktion. de und https://www.facebook.com/tischtransaktion