Einen Vorgeschmack, was es bedeuten könnte, für Mainz den „Klimanotstand“ auszurufen, gab es im Bauausschuss letzte Woche. Es sollte erneut darüber abgestimmt werden, ob ein Bauvorhaben in der Unteren Zahlbacher Straße realisiert werden darf oder nicht. Die Planung wurde schon drei Mal durchgewunken. Niemand hatte jedoch mit dem neuen Stadtrat gerechnet bzw. den neuen Mitgliedern des Bauausschusses.
Laut Allgemeiner Zeitung sollen 80 Wohnungen auf dem Gelände zwischen der Unteren Zahlbacher Straße und dem Zahlbacher Steig entstehen. Die Abrissarbeiten haben bereits begonnen. Geplant ist, dass im Frühjahr 2020 die Bauarbeiten starten. Der neue Eigentümer des ehemaligen Autohauses Sommer, die „wiwi Immo KG“, will in einem ersten Bauabschnitt ein Gebäude mit Wohnungen, Büros und Gastronomie errichten.
Seit der Stadtratswahl veränderten sich jedoch die Zusammensetzungen der Ausschüsse und plötzlich fehlte die Mehrheit für dieses seit Jahren geplante Projekte im Bauauschuss. Laut AZ hatten CDU, ÖDP, Volt/Piraten und die Linke mit insgesamt sieben Stimmen gegen den Bebauungsplan „O69“ gestimmt. Drei Grünen-Mitglieder und der AfD-Vertreter hatten sich enthalten. Durch vier Stimmen der SPD, eine der FDP und zwei der Grünen entfielen sieben Stimmen auf „Ja“. Bei Stimmengleichheit wäre der Antrag abgelehnt worden. Wie die Verwaltung einen Tag später feststellte, war jedoch vergessen worden, die Stimme der Vorsitzenden, Baudezernentin Marianne Grosse (SPD), mitzuzählen, die ebenfalls mit „Ja“ stimmte. So wurde der Bebauungsplan mit einer Stimme Vorsprung schließlich doch noch angenommen.
Dass ein Satzungsbeschluss nach mehrjähriger Bearbeitungszeit noch abgelehnt wird, hätten sie noch nicht erlebt – meinten verschiedene Mitglieder im Anschluss an den Bauausschuss. „Wir waren erstaunt“, sagte selbst ein Rebell wie Andreas Behringer (SPD) gegenüber der AZ. Eine Ablehnung hätte er als Signal der Unzuverlässigkeit empfunden.
Die Stadtratsfraktion PIRATEN & VOLT steht jedoch hinter ihrem Votum. Sie nehme den Klimanotstand, der bereits in einigen Kommunen in Deutschland ausgerufen wurde und in Mainz derzeit von verschiedenen Parteien in den Stadtrat eingebracht wird, sehr ernst. Hierbei geht es im Wesentlichen darum, sämtliche kommunalen Entscheidungen hinsichtlich der globalen Klimakrise zu hinterfragen. Das erfordere ein Umdenken in sämtlichen Gremien der Stadt Mainz. Gerade der Bau- und Sanierungsausschuss habe hier große Gestaltungsmöglichkeiten und daher beim Klimaschutz eine große Verantwortung:
„Wir lehnen den Bebauungsplanentwurf “Untere Zahlbacherstraße O69” in der derzeitigen Form ab, da uns die darin verankerten Klimaschutzmaßnahmen nicht weit genug gehen. Zum Beispiel wird dort gefordert, dass Dachbegrünung erst ab 20 qm erfolgen muss und die Begrünung lediglich 50% der Fläche betragen muss. Auch die aufzubringende Substratdicke von 10 cm ist zu dünn und ermöglicht nur die Bepflanzung von sehr genügsamen Pflanzen. Eine substanzielle Dachbegrünung hat unter anderem die Vorteile, dass lokale Klima zu verbessern, die Aufheizung der Stadt zu dämpfen, gerade bei Starkregen als Wasserspeicher zu dienen und die urbane Artenvielfalt zu fördern.
Damit die Stadt dort mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei Bauvorhaben hat, fordern wir zudem, dass die aus dem Jahr 1993 stammende Dachbegrünungssatzung schnellstmöglich und sehr ambitioniert überarbeitet wird und auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet wird. Im Jahr 2019 benötigen wir ambitioniertere Maßnahmen, die darauf abzielen dass die Dächer vollständig genutzt werden, sei es durch Solarthermie- oder Photovoltaik und ansonsten durch eine üppige Dachbegrünung (Substratdicke mindestens 20cm). Wir wollen den geplanten Klimanotstand ernst nehmen und zugleich sehr konstruktiv mit allen demokratischen Parteien Konsenslösungen suchen. Wir würden dem Bebauungsplanentwurf “Untere Zahlbacher Straße O69” zustimmen, sobald dort adäquate Klimaschutzmaßnahmen festgeschrieben sind.“
In Leserkommentaren der AZ gibt man dem Fall VOLT eher recht:
„Sachlich waren Enthaltungen und Gegenstimmen gut begründbar: Das angebliche Klimagutachten, beschränkt sich auf einen Bereich von etwa 800 x 1000 m, berücksichtigt die mesoskaligen Flüsse nicht, enthält keinerlei aktuelle Messungen und bezieht die Lage und den Zustrom von den Seitengrünflächen und Hanglage nicht ein, die von dem JUWI-Gebäude in Blockbebauung abgeschnitten werden sollen. Die 2,5 m hohe Schallschutzmauer am Hang und die mögliche Fußgängerbrücke sind als Hindernisse für den Kaltluftstrom nicht einmal eingerechnet worden. Völlig unverständlich ist jedoch die massive Verletzung des baugesetzlichen Rücksichtnahmegebots gegenüber den Anwohnern Milchpfad und das Einzelwohnhaus, das von dem Block geradezu erschlagen werden wird. Die Bauverwaltung unter Frau Grosse hat, muss man leider sagen, vollständig versagt beim Schutz solcher Belange! Das Mainzer Stadtklima starb und stirbt an vielen solchen kleinen, undurchdachten Nadelstichen.“
Oder:
„Versiegeln wir kräftig weiter! Gerade hier an der Hanglage hätte man etwas mehr an einen neuen Park, als an eine solche Bebauung denken können. Mal sehen, wann sich die ersten Käufer, oder Mieter über die dort recht laut zu empfindende Straßenbahn beschweren. Überall die letzten Flächen zu bebauen, bringt nur dem Bauherrn und dem Verkäufer Vorteil. Ob die Frischluft später nicht mehr fließt werden die Bewohner später feststellen, aber dann wird es zu spät sein. Es erinnert irgendwie an die Aussage, dass man mit dem Wissen von heute, den Bau des Fußballstadion auch anders beurteilen würde. Mit dem Deckmäntelchen Wohnraum zu schaffen ist anscheinend alles möglich, den Wohnwert, hinten eine Straße, vorne eine viel befahrene Straße ist anscheinend zweitrangig. Was passiert mit dem öffentlichen Parkplatz an der Unteren Zahlbacher Straße? 80 Wohnungen ergibt unter Umständen 160 Stellflächen, wie wurde dies geregelt, wieviele Stellflächen sind für die Gastronomie geplant?
Verwunderung bei Alt-Parteien
Die SPD wundert sich – bei den Grünen gibt man sich einsichtig. „Ich wäre an der Stelle der anderen Fraktionen auch irritiert“, sagt Geschäftsführerin Caroline Blume gegenüber der AZ, die selbst als Vertreterin an der Sitzung teilgenommen hatte. Sie erklärt das Abstimmungsverhalten der Grünen mit dem kurzfristigen Einsatz weiterer Stellvertreter.
Christine Zimmer von der SPD hofft, dass der Start in neuer Besetzung auch als kleines Warnsignal gesehen wird. „Der Bauausschuss ist sehr aufwändig und man muss vieles lernen.“ Baudezernentin Marianne Grosse (SPD): „Ich werde versuchen, noch mehr Infos an die baupolitischen Sprecher rauszugeben, wenn das gewünscht ist.“
Ob es wirklich nur an den Nachrückern und Stellvertreten des Stadtrates lag? Vielleicht denkt in Zukunft manch einer anders oder um, gerade in einer Zeit, in der die Grünen den Stadtrat dominieren und eine Grüne sogar OB werden möchte. Die Emotionen für den Beschluss „Klimanotstand Mainz“ kochen jedenfalls hoch. Dies nun ein Lehrstück in dieser Sache. Sollte der Stadtrat am 25. September den „Klimanotstand“ beschließen, ist in vielen Köpfen ein Umdenken gefragt.