Das Stück „Die Freiläufer“ vereint Elemente aus dem Tanztheater, der Performance-Kunst und dem Physical Theatre. Es wird gespielt, gesungen, gesprochen, getanzt. Es ist kein Musical und keine Revue. Die Choreografin Ute Faust erforscht in ihren Stücken physisch wie auch sprachlich Menschen und ihre Wesenszüge – ihre Wünsche und ihre Abgründe. Die Szenen entwickeln sich im Gedankenaustausch mit der Gruppe, über Improvisationen und gemeinsamer Textarbeit. Authentisches Erzählen verbindet und vermischt sich mit fiktiven Geschichten. 6. sis 8. Januar in den Kammerspielen. Beginn 20 Uhr, Preis 13 Euro / Abendkasse 16 Euro.
Zum Inhalt:
Sie sitzen nicht im Gefängnis, sie werden nicht politisch verfolgt, sind nicht zwangsverheiratet, körperlich behindert, arm, alt, entstellt …
Alles ist gut. Sie können laufen, wohin sie wollen. Sagen, was sie wollen. Sex
haben, mit wem sie wollen. Trotzdem sind sie nicht zufrieden. Sie verletzen sich
selbst und ihre Mitläufer. Es herrscht Krieg und Verfolgung, unterschwellig,
unbewusst. Es bleibt ein fauliger Geschmack, das untrügliche Gefühl, dass etwas
nicht richtig läuft. Die Freiläufer laufen nicht rund und ein paar Mal zu oft im
Kreis herum. Sie laufen – außer Atem und orientierungslos – ihrer Freiheit
hinterher!
Die Vier, die auszogen, sich frei zu laufen, suchen. Jeder auf seine Art. Sie
zitieren Philosophen: Sartre, Bergson, Heidegger. Holen sich Helden, Träumer und Psychopathen an ihre Seite, damit es sich schneller läuft. Alles was sie ins Ziel bringen könnte, wird probiert. Sie merzen körperliche Defizite aus, lösen Tierrätsel und versuchen sich als Affen, Hunde und Pferde. Sie singen „Über den Wolken“, davon „Keine Angst mehr“ zu haben und auch über die „True Colours“ …
Zur Musikauswahl:
Die Auswahl bewegt sich von Verdi, über Techno zu Pop, von deutschen über
chinesischen zu englischen Liedern. Manche Titel werden vom Band gespielt, andere
live auf der Bühne gesungen.
Lockere Zitatesammlung aus den Proben:
Der Hund hat die Möglichkeit, freiwillig hinter dem Wagen her zu laufen oder von
ihm gewaltsam gezogen zu werden. (frei nach Hippolyt)
Jedes Mal
wenn ich jetzt an dich denke
entsteht in meinem Kopf
ein freier Raum
eine Art Vorraum zu dir
in dem sonst nichts ist
Ich stelle fest
Am Ende jedes Tages
dass viel mehr freier Raum
in meinem Kopf
übriggewesen sein muss
Als ich sonst glaubte („Freiraum“ von Erich Fried)
„Und bei der Trauerrede konnte der Pfarrer überhaupt nichts über ihr Leben
erzählen, weil da nichts war außer Geburt und Tod.“ (aus den Proben von einer
Läuferin)
„Meine Hände sind eiskalt und nass. Ich kann nicht mehr lachen, weinen, agieren.
Ich stehe da wie eine Skulptur aus Stein.“ (aus den Proben von einer Läuferin)
„Jeder Hamster braucht Freilauf. In der Natur laufen sie nachts kilometerweite
Strecken um Futter zu suchen. Man sollte ihm täglich mindestens 30-60 Minuten
Freilauf gewähren. Bevor Sie den Hamster das erste Mal in sein neues Umfeld
entlassen, sollten Sie sicher sein, dass er sehr zahm geworden ist. In der
ersten Zeit wird er bestimmt nicht gerne wieder rein gehen, was zu einer wahren
Geduldsprobe werden kann. Am besten ist es, wenn Sie das Tier erst in einem
kleinen Raum / Bereich hinaus lassen. Gesellen Sie sich möglichst dazu, damit
der Hamster sich daran gewöhnt und auch gerne zu Ihnen zurückkehrt. Setzen Sie
sich einfach still irgendwo hin, Sie werden schon in die Erkundung mit
einbezogen werden. Sehr wichtig ist auch, dass Sie das Tierchen NIE jagen, Es
verliert sonst schnell das Vertrauen zu Ihnen. Bedrängt man Tiere, macht man
mehr kaputt als man erreicht.“ (Ein Text aus nagetiere.online.de)
Wir sind frei, wenn unsere Handlungen aus unserer ganzen Persönlichkeit
hervorgehen, und nicht aus der peripheren Strebung eines parasitären
Ichs. (Bergson)
Alles ist bereits Vergangenheit oder Gegenwart, und es gibt keine Zukunft. Doch
da, wo das kommt, was zu kommen bleibt, bin ich in dem Maße, wie ich nicht
vorhersehen, vorherbestimmen und prognostizieren kann, ausgesetzt. Verurteilt,
frei zu sein und zu entscheiden. (Derrida)
„Deine „anything goes“-Philosophie ist doch totale Scheiße! Das kommt alles nur
davon, dass Du zu blöd bist, Freiheit und Beliebigkeit auseinander zu halten.
„Egal, egal …“ – Nichts ist egal! Das ist alles total wichtig und Du kannst
hier nicht rumlaufen, als würde es die Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit nicht schon seit mehr als 350 Jahren geben …“ (aus den Proben von einer Läuferin)
Denen ihnen erhöht war die Seele, allen, sie pflanzten mit Lust die munteren
Bäume der Freiheit! (Goethe)
Freiheit ist anmutig und ungezwungen! (irgendwo gelesen)
„Ich habe immer geglaubt, Angst haben nur andere. Schwache Menschen. Ich war nie
betroffen. Und dann doch. Und wenn sie dich ergreift, dann erkennst du, dass sie
schon immer dagewesen ist, unter der Oberfläche von allem, was du je geliebt
hast.“ (Jodie Foster als Erica Bain in „Die Fremde in dir“)
„Ich habe Angst um meinen Körper. Ich mag ihn sehr. Manchmal hasse ich ihn auch
… Freiheit verspüre ich immer in der Natur mit weitem Blick. Dabei springe ich
immer wieder in das klare weiche Wasser. Nackt. Alles an mir riecht nach
draußen. In der Dämmerung gibt mir das knisternde Feuer Halt in der unendlichen
Weite des Sternenhimmels.“ (aus den Proben von einer Läuferin)
You with the sad eyes
Don’t be discouraged, though i realize it’s hard to
take courage in a world, full of people,
you can lose sight of it
And the darkness inside you
will make you feel so small
But I see your true colors, shining through
I see your true colors, and that’s why I love you
So don’t be afraid, to let them show
Your true colors, true colors
Are beautiful, like a rainbow („True colors“ von Cindy Lauper)
Zur Person:
Ute Faust, Choreografin, ausgebildet am „Moving Arts Zentrum“ in Köln, am „Dance Space Studio“ und „Movement Research“ in New York. Seit 2005 Studium in „Action Theater“ nach Ruth Zaporah. Unterrichtet Zeitgenössischen Tanz, Improvisation und Physical Theater in Mainz. 2007/2008 Lehrbeauftragte für „Tanz- und Bewegungstheater“ an der Universität Mainz. Seit 2007 zeigt sie ihre künstlerischen Arbeiten in den Mainzer Kammerspielen.
Pressestimmen:
„Ute Faust entführt den Zuschauer in eine bizarre, groteske Welt. Die Bühne verwandelt sich in einen taumelnden Reigen von sich Begegnen und wieder Verlieren. Die tänzerische Geste vermittelt, was Worte nicht ausdrücken können … mit berührender Emotionalität, kraftvoll und zart zugleich.“
Allgemeine Zeitung Mainz, Mai 2008, Stück „zugleich zusammen allein“n“
„…Intensive Bilder und Farbspiele werden entworfen, durch die perfekt gewählte Klangkulisse ergänzt und verstärkt. Die stilistische Vielfalt der Bewegung, die von Modern Dance über körperbetonte Commedia-Elemente bis zum DiskoFieber reicht, wird zusätzlich um die Dimension der Stimme erweitert. Die unbändige Spielfreude und der Wechsel zwischen den Stimmungen lassen den Zuschauer das Gesehene fast revuehaft kurzweilig empfinden und hinterlassen doch bleibenden Eindruck – einen sehr guten.“
Allgemeine Zeitung Mainz, Juli 2007, Stück „SICHERHEITSHALBER“)
„Emotionaler Höhepunkt des Abends ist jedoch das „Eisbärsein“ von Ute Faust. Im Rampenlicht: das innere Kind, einer kalten Welt schutzlos ausgeliefert. Es ist das notorische Eisbärchen, von allen beglotzt, wie süß! Moralisch völlig zerfetzt, wie ein Borderline-Kranker, schämt er sich für seine Existenz und hält Monologe über Wege, den Schmerz zu spüren. Dass die Tänzerin am Ende nackt ist, hat nichts mit Provokation zu tun, sondern ist der Hilfeschrei eines psychisch Zerbrochenen.“
(Allgemeine Zeitung Mainz, September 2009, Stück „Eisbärsein“)