von Cris Borland & Jim Knopf Illustration: Lisa Lorenz
Die Schulbank habe ich seit 25 Jahren nicht mehr gedrückt und außer meiner englischen Muttersprache nie eine andere gelernt. Jetzt sitze ich fünfmal die Woche im Deutschkurs in einer Mainzer Sprachschule. Dazu wurde ich vom deutschen Staat verpflichtet, um dauerhaft hier leben zu dürfen. Klar, ein Sprachgenie war ich nie, aber auch nach drei Monaten Deutschunterricht fühle ich mich wie ein Dummkopf. Warum muss ich ausgerechnet Deutsch lernen, eine Sprache mit Buchstaben wie „ä“, „ü“ oder „ö“ und einer Grammatik, deren wahnwitzige Regeln mich und meine Mitstreiter täglich aufs Neue in Verwirrung stürzen?
Buchstabieren Sie!
Allein diese simple Aufforderung unserer Lehrerin treibt mir den Schweiß auf die Stirn, obwohl das Alphabet meiner Sprache mit dem deutschen fast identisch ist. Viele meiner Mitschüler haben diesen „Vorteil“ nicht. Die meisten sind Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien oder Afrika, sowie Zuwanderer und Studenten europäischer und anderer Länder. Das macht eine Verständigung fast unmöglich. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich statt eines Sprachkurses ein Theater besuchen, in dem Mimik und Gestik trainiert werden. Ich finde es auch ein wenig merkwürdig, dass unsere wechselnden Lehrer nicht aus Deutschland stammen, sondern Weißrussland usw.
Ein gewisses Chaos ist vorprogrammiert
In meinem Kurs sind Menschen mit unterschiedlichsten Voraussetzungen, kulturellem und religiösem Hintergrund, Bildungsniveau, Chancen und Motivationen, Junge und Alte, Akademiker und weniger Gebildete, Flüchtlinge und Studenten. Fast alle sind zum Deutschlernen verpflichtet. Bei einer solchen Mischung ist ein gewisses Chaos vorprogrammiert. Von den ursprünglich 20 Teilnehmern ist höchstens die Hälfte regelmäßig da. Viele kommen und gehen wann sie wollen oder erscheinen, um ihre Unterschrift in die Liste einzutragen und dann wieder zu verschwinden. Handys bleiben während des Unterrichts angeschaltet oder man verlässt kurz den Kursraum, um ein Gespräch entgegenzunehmen. Merkwürdig, dass das niemanden zu interessieren scheint, in einem Land, in dem Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit so wichtige Tugenden sind.
What the f… is the capital of Madagascar?
Dafür lerne ich viel über Bürokratie und, dass die Hauptstadt von Madagaskar Antananarivo heißt. Das ist ja sehr interessant, aber verdammt schwer auszusprechen für jemanden, dem bisher nicht einmal das Wort „fünf“ perfekt gelingt. Wörter wie „Reiseversicherung“ oder „Verdienstnachweis“ bringen mich an den Rand der Verzweiflung. „What the f… is this?“ Und warum soll ich diese Worte lernen, bevor ich weiß, wie die deutsche Bezeichnung für Bein, Kopf oder Arm lautet? Während ich noch mit dem Gebrauch des korrekten Artikels kämpfe, „der, die, oder das ?“, lerne ich wenige Lektionen später, dass aus „die“ im Dativ „der“ wird. Es ist nicht einfach mit der deutschen Sprache, von meinem Kampf mit der Konjugation ganz zu schweigen.
Bitte, sprechen Sie Deutsch mit mir!
Trotzdem ist es für mich leichter als für meine Mitschüler, die nur arabisch, bulgarisch oder eine afrikanische Sprache sprechen. Viele Deutsche können zumindest ein „piffchen“ – nein, ein „bisschen“ muss es heißen – Englisch und praktizieren es offensichtlich gern. Das ist nicht immer zu meinem Vorteil. Mutig versuche ich beim Bäcker auf Deutsch Körnerbrötchen zu bestellen. Mein Akzent ist nicht zu überhören. Mit einem verständnisvollen Lächeln fragt mich die Verkäuferin: „Do you like some with poppyseeds, sesameseeds, sunflower- or pumpkinseeds?” Entmutigt antworte ich in Englisch… Mein nächster Versuch in einem Restaurant geht ähnlich aus. Ich bemühe mich, in korrektem Deutsch zu bestellen und man antwortet mir in Englisch. „Bitte, sprechen Sie Deutsch mit mir“, möchte ich der Bedienung zurufen. Ansonsten lerne ich diese komplizierte Sprache nie.