Direkt zum Inhalt wechseln
|

Das sensor 2×5 Interview mit Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs

Karin Schmidt-Friderichs ist Verlegerin beim Verlag Hermann Schmidt. Seit dem 26. Oktober 2019 ist sie Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

sensor: Wie geht es der Buchbranche? Welches sind die Herausforderungen?
Die Buchbranche ist gut durch die Pandemie gekommen. Die Menschen haben wieder häufiger zum Buch gegriffen – mit einer coronabedingten Ausnahme: das sind Reiseführer. Zusammen mit den staatlichen Unterstützungen hat es die Branche gut geschafft: Lesen ist immer noch eine der liebsten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen. Die größte Herausforderung aktuell ist es allerdings, an Material zu kommen, also Papier und Druckkapazitäten zu erhalten. Papier ist weltweit knapp. Und in den letzten zehn Jahren haben viele Druckereien in Deutschland aufgegeben. Jetzt fehlen die Rohstoffe und die Fertigungskapazitäten. Ich kann auch nicht ausschließen, dass Bücher teurer werden.

Bedrohen die Digitalisierung und Amazon, Google & Co. das klassische Buch?
Das hat sich eigentlich soweit gelegt. Der Kunde und die Branche haben sich daran gewöhnt und damit arrangiert. Beides lebt nebenher und hat sich gegenseitig nicht das Wasser abgegraben. Die große Schlacht hat somit nicht stattgefunden. Dennoch ist auch die Buchbranche im digitalen Wandel, es findet aber eher eine Evolution als eine Revolution statt.

Wie sieht es durch Corona mit den Buchmessen aus?
Der Ausfall der Messen hat die Branche unglaublich getroffen. Messen sind nicht nur als Marktplatz wichtig, sondern auch Anlass für Aufmerksamkeit. Die Frankfurter Buchmesse kürzlich war kleiner und weniger international und trotzdem war es eine Buchmesse, dazu eine mit einer tollen Berichterstattung.

Nur toll war es nicht, es gab auch Kritik wegen eines Standes?
Es ging um einen kleinen Stand eines neurechten Verlages. Rein juristisch gesehen darf die Frankfurter Buchmesse als Quasimonopol nicht entscheiden, wer ausstellen darf und wer nicht, denn das entscheiden auf Basis der Verfassung die Gerichte. Auf der anderen Seite tut es mir und allen Messeverantwortlichen sehr leid, wenn eine schwarze Autorin sich deshalb auf der Messe nicht sicher fühlt. Auf der Messe waren wesentlich weniger Aussteller und Besucher, aber genauso viele Sicherheitskräfte wie 2019 und: Selbst für die Sicherheit von Salman Rushdie konnte die Messe damals Sorge tragen. Wir müssen solche Fragen verhandeln, aber nicht in der Aufgeregtheit und Aufgepeitschtheit der Sozialen Medien.

Wie bekommen Sie Ihren eigenen Verlag und den Vorsteherinnen-Posten unter einen Hut?
Den Verlag mache ich zusammen mit meinem Mann, der ein paar mehr Aufgaben mit übernimmt, seitdem ich Vorsteherin des Börsenvereins bin. Aber es sind dennoch zwei Jobs, das merkt man schon. Durch Homeoffice kann ich viel von hier aus arbeiten, bin aber dennoch häufig unterwegs. Es ist eine diplomatische Arbeit nach innen und eine repräsentative Verpflichtung nach außen. Ich wurde 2019 für drei Jahre gewählt, 2022 kann ich noch einmal für drei Jahre antreten. Tue ich das nicht, oder werde ich nicht wiedergewählt, läuft das Amt am 28.10.2022 aus.

Wie ist Ihr Lebensweg bisher verlaufen?
Ich bin in Bad Kreuznach geboren und habe meine ersten drei Jahre in Bingen verbracht. Dann sind meine Eltern nach Bonn gezogen, dort war mein Vater unter anderem Wirtschaftsminister. Mit zehn Jahren kam ich nach Mainz und verbrachte hier meine Teeniezeit bis zum Abitur. Danach bin ich nach Hamburg gezogen – die Stadt meiner Träume -, hatte mich aber bereits in meinen Mann verliebt, der in Stuttgart studierte. Also bin ich nach Stuttgart und habe dort Architektur studiert. Danach hat mein Mann die Druckerei seines Vaters in Mainz übernommen und ich kam mit unserer ersten Tochter und schwanger mit der zweiten hinterher. Ich habe dann von Mainz aus in Stuttgart mein Diplom gemacht und eine Zeitlang in der Architektur gearbeitet. Währenddessen begann der eigene Verlag, Gestalt anzunehmen.

Wann haben Sie sich in Ihrem Leben am stärksten gefühlt?
Das war in Stuttgart, als ich mein Architektur-Diplom präsentierte. Ich hatte die städtebauliche Arbeit zum Großteil von hier aus erarbeitet. Als dann in Stuttgart die Diplome im Gang ausgestellt wurden und alle um meine Arbeit herumstanden, da wusste ich, dass es so schlecht nicht sein kann und ich vielleicht gerade auf eine Eins geprüft werde. Der Moment, in dem mein Prof mich daraufhin anerkennend anlächelte … da hatte ich das Gefühl: „Ich bin der König der Welt“ (lacht). Es wurde dann zwar leider nichts aus der Architektur, auch wegen der Kinderbetreuung, aber ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen sich auf der Basis von Ehrgeiz und Selbstvertrauen gut weiterentwickeln können.

Und wann haben Sie sich am schwächsten gefühlt?
Da fallen mir einige Sachen ein … Als mein Mann nach Mainz ging und ich erst mal noch in Stuttgart blieb, krabbelte unsere einjährige Tochter eines Tages zur Wohnungstür und rief nach ihrem Papa. Da wusste ich, dass meine Idee von Selbstverwirklichung nicht dem Recht des Kindes auf eine zusammenlebende Familie im Weg stehen darf, egal, wie sehr ich an der Architektur hänge. Da fühlte ich mich ohnmächtig. Schwäche ist für mich, wenn ich weiß, diese Aufgabe ist größer als ich. Und das ist bei Kindererziehung oft der Fall. Man gibt sich alle Mühe der Welt, aber ob man gut genug ist, das weiß man nie.

Sie haben dann noch eine Ausbildung als systemischer Coach absolviert.
Mich interessiert die Kommunikationspsychologie, und ich hatte mich auf diesem Gebiet fortgebildet. Irgendwann habe ich mir dann den Traum einer eineinhalbjährigen Ausbildung zum systemischen Business-Coach gegönnt. Und eigentlich ist ein Lektor auch nichts anderes als ein Coach für seine Autoren. Seitdem coache ich meine Autoren mehr, berate Verlage oder moderiere auch Veranstaltungen. Mich begeistert es, mich mit Neuem zu beschäftigen. Und ich habe gemerkt, dass mein wirkliches Talent darin liegt, Strukturen zu finden und zu verstehen oder auch Menschen zu begleiten.

Wie sagt Ihnen Mainz mittlerweile zu?
Mainz ist inzwischen mein Zuhause, meine Heimat. Ich habe hier Freunde, Familie und Erinnerungen. Ich finde es toll, dass so viele Studenten hier sind. Ich mag die Neustadt gerne, und die Größe der gesamten Stadt ist ideal. Ich jogge gerne im Gonsenheimer Wald, fühle mich aber eigentlich im Rhein- Main-Gebiet wohnhaft. Ich mag es dennoch, dass die Mainzer Fremde und Menschen wie mich, die gerne kommen und gehen, mit offenen Armen aufnehmen. Mainz lebt damit eine Weltoffenheit und Toleranz, die mir gefällt.

Interview David Gutsche
Foto
Jana Kay