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Das sensor 2×5 Interview: Hermann Bäumer (scheidender Generalmusikdirektor Staatstheater Mainz)

„Jeder Dirigent hat eine eigene Handschrift, wie ein Trainer im Fußball.“

Nach 14 Jahren als Generalmusikdirektor am Staatstheater verabschiedet sich der Dirigent Hermann Bäumer in Richtung Prager Staatsoper – bleibt mit seiner Familie aber weiterhin in Rheinhessen verwurzelt.
Im Interview spricht er über den Reiz des Neuanfangs, magische musikalische Momente und warum langfristige Pläne in seinem Beruf oft von der Realität überrollt werden. Was bleibt, ist ein tiefes Band zum Mainzer Publikum.

Beruf

Sie verlassen Mainz nach 14 Jahren. Wie kommts?
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist die Position des Generalmusikdirektors ohnehin nicht auf ewig angelegt. 14 Jahre in diesem Amt sind schon die Ausnahme. In dieser Zeit sind viele neue, junge Kollegen dazugekommen, die sicher auch einen anderen musikalischen Leiter erleben wollen. Zudem ist die Rechtslage so, dass, wenn man länger als 14 Jahre an einem Theater tätig ist, die Unkündbarkeit greift. Ich konnte in diesen 14 Jahren neue Konzertformate initiieren und aufbauen. Zudem tut auch mir ein neuer Schritt gut. Am Theater sollte man immer flexibel bleiben.

Sie gehen an die Prager Staatsoper, wie kam es dazu?
Ja, Prag als Hauptstadt eines europäischen Landes, eine Staatsoper – alles ist dort etwas größer. Aber in der Kunst ist das letztlich zweitrangig. Ob ich Musik mit einem Laienorchester oder in Mainz oder an der Staatsoper Prag mache – es geht immer darum, in dem Moment das Beste zu erreichen. Musikalische Zufriedenheit ist wichtiger als äußerlicher Erfolg. Ich durfte schon zwei Produktionen an der Prager Staatsoper dirigieren und kenne seit einigen Jahren den Intendanten. Letztendlich suchte man recht kurzfristig nach einem neuen musikalischen Leiter für die nächsten drei Jahre. So kam es dazu. Ich habe mir dann mit meiner Familie gemeinsam Zeit genommen, um das zu überdenken – und dann zugesagt.

Ziehen Sie mit Ihrer Familie nach Prag?
Nein. Ich wohne in Nieder-Olm und habe vier schulpflichtige Kinder – der Älteste in der 11. Klasse, die Jüngste in der dritten. Für drei Jahre mit vier Kindern nach Tschechien zu ziehen, wäre nicht realistisch, zumal wir kein Tschechisch sprechen. Außerdem endet die Intendanz dort 2028, was bedeutet, dass alles neu gemischt werden könnte. Das wäre keine verlässliche Perspektive. Das heißt: Ich werde in den Zeiten, in denen ich dort bin, intensiv arbeiten – aber da beide großen Opernhäuser in Prag fast ausschließlich Oper und Ballett spielen, entfällt die Planungs- und Vorbereitungszeit für Konzerte. Dafür gibt es ein großes Opernrepertoire und ich werde auch von diesen Repertoirewerken einiges übernehmen. Zudem plant die Oper sehr langfristig – ich weiß schon genau, was ich bis 2028 machen werde.

Ist Prag also nicht unbedingt Ihre letzte Station?
Das kann sein, muss aber nicht. In unserem Beruf ist es immer schwer, langfristige Aussagen zu treffen. Ich hatte eigentlich für die Zeit nach Mainz bereits einen anderen Plan, dann kommt ein Anruf und alles ist anders. Wir leben in einem System, das einerseits langfristige Planung verlangt – aber andererseits ständig von der Realität überrollt werden kann.

Was geben Sie Ihrem Nachfolger Gabriel Venzago mit?
Ich wünsche ihm Gesundheit und Erfolg, dass er eigene Ideen mutig umsetzt. Jeder Dirigent hat eine eigene Handschrift, wie ein Trainer im Fußball. Wichtig ist, dass man hinter dem steht, was man tut – nur dann kann man Menschen mitnehmen. Ich glaube, wir haben in Mainz viele gute Grundlagen gelegt. Jetzt ist es Zeit für eine neue Handschrift.

Mensch

Was waren Ihre persönlichen Highlights in Mainz?
Ich durfte so viele tolle Momente erleben, da möchte ich nicht einzelne hervorheben. Es sei denn die Kostüme in der „Symphonie fastnachtique“, die ich mit entwerfen durfte. Das war für mich etwas sehr Besonderes. So etwas passiert nur in Mainz. Ansonsten gab es viele Projekte – der Film „Beethoven – Ein Geisterspiel“ in der Corona-Zeit, die „Nordische Nacht“ in der Halle 45, viele starke Opernproduktionen. Und manchmal hat man in einer Probe 30 Sekunden, die einfach magisch sind. Die vergisst man nie – auch wenn sie nicht auf der Bühne sichtbar werden. Solche Augenblicke behalten wir Musiker im Herzen.

Wie sind Sie eigentlich zur Musik gekommen?
Ich bin Westfale – genauer gesagt: Ostwestfale –, und mein Vater hatte die Idee, dass alle seine Kinder ein Instrument lernen sollten. Es gab also ein gewisses musikalisches Umfeld, aber keine tiefgreifende Vorbildung. Ich hatte drei ältere Schwestern, die Klavier lernten. Mit sechs Jahren fing ich mit Klavier an, später dann mit Posaune, weil es bei uns in der Gemeinde einen Posaunenchor gab. Das war eine wichtige Gemeinschaft für mich – wir haben nicht nur Musik gemacht, sondern auch Sport, Ausflüge und Probenwochenenden. Aber als ich mit 14 an einem Wettbewerb teilnahm, war die Rückmeldung vernichtend: Ich wurde als Schlechtester bewertet. Das hat mich sehr getroffen – ich dachte, das war’s. Aber ich habe trotzdem weitergemacht, einfach weil ich es geliebt habe. Im Schulmusikstudium hat sich dann mein Weg zum professionellen Posaunisten geebnet und ich war zunächst bei den Bamberger Symphonikern und danach bei den Berliner Philharmonikern.

Und wie kamen Sie zum Dirigieren?
Das begann fast aus Versehen. Im Posaunenchor hatte der Leiter einen Wutanfall und brüllte in einer Probe: „Dann macht’s doch selbst!“ Ich sagte: „Ich würde es gerne probieren.“ Und so fing ich an zu dirigieren. Später habe ich dann auch offiziell Dirigierunterricht genommen – zunächst neben dem Posaunenstudium. Irgendwann wurde das Dirigieren immer mehr, bis ich mich entschied, das professionell zu verfolgen. Meine erste feste Dirigentenstelle hatte ich in Osnabrück, bis ich 2011 in Mainz anfing.

Haben Sie neben der Musik noch andere Hobbys?
Ja, Fußball – vor allem passiv. Gartenarbeit ist in den letzten Jahren ein großes Thema geworden. Und ich lese sehr gern. Und natürlich verbringe ich gerne viel Zeit mit meiner Frau und meinen Kindern – das ist kein Hobby im klassischen Sinn, aber etwas sehr Wichtiges.

Was werden Sie an Mainz besonders vermissen?
Das Publikum. Mainz hat ein unglaublich offenes, neugieriges Publikum. Viele kommen auch, wenn sie das Programm nicht kennen – einfach aus Vertrauen. Das ist nicht selbstverständlich. Ich glaube, dieses besondere Verhältnis hat sich über die Jahre aufgebaut. Und natürlich werde ich auch das Orchester vermissen – mit seiner Offenheit und Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Aber da ich weiter hier wohnen bleibe, werde ich versuchen, immer mal wieder im Theater und bei Konzerten vorbeizuschauen…

Interview: David Gutsche
Foto: Jana Kay

Seine letzten beiden Sinfoniekonzerte als Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz dirigiert Hermann Bäumer am 13. und 14. Juni im Hohen Dom zu Mainz.
Programmatisch verabschiedet sich Hermann Bäumer nach 14 Jahren auf sehr persönliche Weise: Die Aufführung von Olivier Messiaens letztem großen Orchesterwerk Éclairs sur l’Au-Delà (Streiflichter über das Jenseits) spannt einen Bogen zum allerersten gemeinsamen Konzert im Herbst 2011, in dem die monumentale Turangalîla-Sinfonie von Messiaen zu hören war.
Das 11-sätzige Musikstück Éclairs sur l’Au-Delà ver-anneliese.schuererlangt mit über 100 Musiker*innen einen gewaltigen Orchesterapparat, der jedoch weniger übermannend eingesetzt wird, sondern oft beinahe kammermusikalisch, transparent und differenziert. Angeregt durch die Offenbarung des Johannes sollen die elf Meditationen eine Ahnung davon geben, was sich hinter dem „Vorhang“ befindet, so Messiaen in seinem letzten Interview, er stelle sich vor, „was dahinter liegt: die Auferstehung, die Ewigkeit, das andere Leben“.
Karten gibt es an der Theaterkasse (Fuststr. 4) oder unter www.staatstheater-mainz.com.

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