von Felix Monsees, Foto: Andreas Coerper
Junge und gut ausgebildete Wirtschaftsflüchtlinge aus Spanien sind in Deutschland willkommen. Abgesandte der Stadt Mainz sind sogar bis Valencia geflogen, auf der Suche nach Kindergärtnern.
Anna wollte weg aus Deutschland. Die Heidelbergerin googelte, dass Sevilla die sonnenreichste Stadt Europas ist und buchte ein Flugticket. „Typisch deutsch“ findet Ernesto das. In der Neujahrnacht 2011 haben sich die deutsche Auswanderin und der Architekturstudent aus Cadiz (Südspanien) in einer Bar kennen gelernt und sind seitdem ein Paar. Eine Zukunft unter Palmen am Strand von Sevilla gibt es für die beiden nicht. Nirgendwo in der EU ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt so miserabel wie derzeit in Spanien. Auf jeden zweiten Jugendlichen wartet dort nach Ausbildung oder Uni die Arbeitslosigkeit. Die Finanzkrise ist allgegenwärtig und das Gesprächsthema Nr. 1, erzählt das Paar. Über die Gründe für die Krise sind sich Anna und Ernesto uneins. Auf die Verschwendungssucht der spanischen Regionalregierungen tippt Anna. Die Banken sind schuld, findet Ernesto. Vor allem für Architekturstudenten sind die Zukunftsaussichten düster. Denn mit Ende des Baubooms benötigt Spanien keine Architekten mehr. Die Professoren würden den Abschluss der Studierenden sogar absichtlich verzögern, meint Ernesto, um einen größeren Wettbewerb zwischen Architekten zu verhindern. Seine Kommilitonen und der komplette Freundeskreis sind mittlerweile auf ganz Europa verteilt, in Frankreich, England und Holland. Ernesto sitzt in einem Mainzer Biergarten und genießt bei einem kühlen Bier, dass der Sommer endlich an den Rhein gekommen ist und die Menschen draußen sind. Das Leben auf der Straße hat er vermisst.
Letzte Hoffnung Deutschland
Seit einigen Wochen hat Ernesto einen neuen Job in einem Architekturbüro im Taunus. Jeden Morgen geht er erst in die Volkshochschule zum Deutschkurs und pendelt danach mit der S-Bahn ins Büro. Das Zugfahren ist noch eine Herausforderung. „Ich verstehe die Durchsagen nicht“, sagt Ernesto. Deutschkurse sind in Spanien populär. Doch es ist nicht die Liebe zu Goethe und Schiller, die Spanier in die Sprachschulen treibt. Viele bereiten sich auf das Auswandern vor. Auch 40 Erzieher aus Valencia pauken noch bis Dezember, dann beginnt ihre Arbeit in Mainzer Kindergärten. Die Stadt Mainz wurde auf der Suche nach Fachkräften in unserer Partnerstadt Valencia fündig. Eine Delegation reiste extra dorthin, um Personal für die 200 benötigten Erzieherstellen in den neu gebauten Einrichtungen zu finden. Mainz macht nach, was Angela Merkel vorgemacht hat. Als die Bundeskanzlerin 2011 zu deutschspanischen Regierungskonsultationen nach Madrid reist, ließ sie am Rande des Treffens wissen: Deutschland hat einen riesigen Bedarf an Fachkräften. Die Flüchtlinge der Wirtschaftskrise sind überwiegend Akademiker. Nur qualifiziertes Personal hat eine Chance auf dem Arbeitsmarkt im momentanen Wirtschaftswunderland Deutschland. Die Arbeitsimmigranten der 60er Jahre – darunter viele Spanier – arbeiteten dagegen meist in Fabriken und an Fließbändern. „Mein Vater war ungelernt und meine Mutter war Analphabetin“, sagt Miguel Vicente. Seine Eltern sind aus einem kleinen Dorf nach Mainz ausgewandert, mit fünf Jahren wurde der kleine Miguel an den Rhein nachgeholt. Er ist bis heute hier geblieben, seine Eltern sind zurückgekehrt, wie alle aus seinem Dorf. Heute ist Miguel Vicente Beauftragter der Landesregierung für Migration und Integration und beschäftigt sich auch beruflich mit den Spaniern in Mainz. Die Infrastruktur der Migranten aus den 60er Jahren besteht nicht mehr, sagt Vicente. Von vielen Clubs und Gemeinschaften ist nur noch ein katholischer Verein übrig geblieben. Hier treffen sich allerdings keine Spanier, sondern Einwanderer aus Lateinamerika. Für eine gelungene Integration setzt Vicente auf die Beteiligung von Unternehmen und Familienpartnerschaften. „Die Einwanderer von der Universität sind viel weltoffener“, sagt Vicente. Und die Deutschen auch. Es herrsche eine positive Grundhaltung gegenüber Südeuropäern. Das war nicht immer so – Stichwort „Spaghettifresser“. Zurück in den Biergarten mit Anna und Ernesto. Wollt ihr denn wieder zurück? Ja, antwortet Anna sofort. Seit zehn Jahren lebt sie nun zum ersten Mal wieder in ihrem Heimatland und will am liebsten wieder weg. Dass Mainz die (fast) sonnenreichste Stadt Deutschlands ist, reicht ihr wohl nicht.