Text Benjamin Schaefer Fotos Andreas Coerper, Michael Breuer, Michaela Waldow
Bei Kleidern ist die Umnutzung einfach, bei Gebäuden gestaltet sich die Sache schwieriger, besonders wenn es sich bei Mietern um Kunstschaffende handelt. Seit 2013 gibt es drei neue Künstlerateliers in Mainz, die – zumindest teilweise – leer stehende Gebäude nutzen. Der Schlüssel ist Vertrauen.
Bei Kleidern ist die Umnutzung einfach, bei Gebäuden gestaltet sich die Sache schwieriger, besonders wenn es sich bei Mietern um Kunstschaffende handelt. Seit 2013 gibt es drei neue Künstlerateliers in Mainz, die – zumindest teilweise – leer stehende Gebäude nutzen. Der Schlüssel ist Vertrauen. „Dies hier“, sagt Künstlerin Patricia Hell und deutet auf ein gerahmtes Bild, „ist ein originales Fünfzigerjahre- Hawaiihemd!“ Aus blauem Hintergrund kommen weiße Figuren hervor, die mit farbigen Pinselstrichen kämpfen. Das „Sehstück“, wie Hell alle Teile ihrer kleinformatigen Reihe nennt, hängt gerahmt an einer Wand im Gebäude 15 im ehemaligen Blendax-Werk, Rheinallee 88. „Atelier Nord“ nennt sich das neue Künstlerhaus, das seit Mai von Hell bespielt wird. Im August stieß Kollegin Rita Eller hinzu. Auch sie bedient sich gebrauchter Materialien, vor allem Papieren, die sie collagenartig verklebt, übermalt, überzeichnet. Der lange Flur, dessen grüne Wandfarbe und die Oberlicht-Fenster der Räume verströmen einen herben Labor- Charme, der zu einem Zahnpasta- Fabrikanten passt. Die Nutzerinnen wirken indes glücklich über ihr Domizil. Ein Jahr habe sie gesucht, inseriert, angeschrieben, erklärt die 60-jährige Eller. Die Resonanz: „Mager.“ Doch die Triwo AG, der das Gelände gehört, zeigte sich aufgeschlossen den Kreativen gegenüber. Eller erklärt das mit der Nachbarschaft: Das Marketing- und Designzentrum „Nordhafen“ habe da „gute Vorarbeit geleistet“.
Raum neu öffnen
Seit Februar des letzten Jahres betreibt Anne-Louise Hoffmann zusammen mit zwei weiteren Künstlerinnen das Atelier und Projektraum „Allez“ in der Rheinallee 28. Zwar waren die etwa 90 Quadratmeter schon vorher in Künstlerhand, jedoch nur durch die „glückliche Fügung“, dass Mitgründerin Vicky Stratidou die Tochter der Vermieterin kannte, kam man ins Geschäft. Dann stand erst einmal eine Renovierung der ehemaligen Glasbläserei im Hinterhof an. „Ohne krasse Eigenleistung wäre es nicht gegangen“, fasst die Künstlerin und Musikerin Hoffmann den Aufwand zusammen. Zuletzt stieg Rieke Köster ein, die wie Stratidou an der Kunsthochschule Mainz studiert. Außer mit den individuellen künstlerischen Arbeiten wendet sich „Allez“ mit Gastausstellungen und -vorträgen an das Publikum. Im Oktober gibt es einen Kinder-Workshop in Kooperation mit der Kunsthalle, außerdem die Abschlussausstellung einer weiteren Studentin der Kunsthochschule. „Wir wollen, dass in Mainz etwas passiert“, bringt Anne- Louise Hoffmann ihre Motivation auf den Punkt.
„Herzensguter Vermieter“
„Aus dem Raum entstehen die Möglichkeiten“, begründet Henry J. Wintherberg die Gründung des Atelierkollektivs „Pralinenfabrik“ in der Boppstraße 66. Nach knapp zwei Jahren Suche hatte der Maler sich in die gut 120 Quadratmeter im Hinterhof mit Marienstatue verliebt. Er tat sich mit Filmemacher Burkhard Rosskothen, Bildhauer Ansgar Frings und Medienkünstlerin Michaela Waldow zusammen. Da foto- grafiert der Filmemacher schon mal die abgegossenen Objekte des gelernten Steinmetzes Frings oder begleitet Winterberg dokumentarisch bei einem Projekt mit Obdachlosen. „Bei uns ist es anders als in anderen Gemeinschaftsateliers, wo jeder für sich arbeitet“, erklärt der 37-Jährige. Ende November öffnet die Pralinenfabrik ihre Pforten für die Ausstellung aktueller Werke. Es ist ein langer Weg zum eigenen Atelier. Dabei sind gerade freie Künstler, die meist nicht von ihren Werken leben können, auf Verständnis und günstige Arbeitsräume angewiesen. „Großzügig“ nennt etwa Anne-Louise Hoffmann die Konditionen ihrer Vermieterin. Auch Henry J. Wintherberg erwähnt den „herzensguten Vermieter“, der sich „menschlich überzeugen ließ“ von dem Modell Künstleratelier. Im Atelier Nord sind noch Räume zu haben – mit 6,50 Euro pro Quadratmeter nicht eben billig. Daher wünschen sich alle Beteiligte eine stärkere Kunst- und Kulturförderung. Neben den Mitteln fehlen der Stadt Mainz aber auch die „Prioritäten“ im Bereich Kunst, wie Hoffmann bemerkt. Dabei schlummern gerade in den Hinterhöfen viele „kleine Geheimnisse“ …
www.pralinenfabrik.com, www.facebook.com/allezkunstraum, Atelier Nord, Rheinallee 88, www.ritaeller.de & www.patriciahell.de