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Arbeit um jeden Preis – Die zwiespältige Spirale der Arbeitslosigkeit

Unbenannt
Text Ines Schneider    Illustration dainz.net

Wer heute ohne Job dasteht, den packt nicht selten die Angst. In vielen Fällen ist es weniger die Angst vor finanziellen Einschränkungen oder unstrukturierten Tagen, sondern die Furcht vor Fremdbestimmung und Machtlosigkeit. Die Bundesagentur für Arbeit, die jeder Arbeitslose umgehend aufsuchen muss, damit er rechtzeitig Arbeitslosengeld erhält, spielt dabei eine Schlüsselrolle. Begriffe wie „Agentur“ und „Kunde“ suggerieren auf der einen Seite Dynamik, Dienstleistung und freie Entscheidung. Ihr Engagement wird jedoch oft zwiespältig an- und aufgenommen.

Arbeitslosigkeit in Mainz

In Mainz waren im Dezember 2014 insgesamt 6.833 Menschen arbeitslos gemeldet, das waren 319 mehr als im Vorjahr. Im Jobcenter betreut wurden davon 4.930. Die Arbeitslosenquote liegt bei 6,2 Prozent. Das Jobcenter (in Mainz auf dem Rodelberg Hechtsheim) betreut Arbeitslose, die in der Regel bereits länger als ein Jahr arbeitslos sind. Sie erhalten Arbeitslosengeld II (ALG), auch als Hartz IV bekannt. Seit 2015 beträgt der Regelsatz 399 Euro plus Unterkunft und Heizung, soweit die Kosten hierfür „angemessen“ sind.

Die Arbeitsagentur (in Mainz am Fuß der Saarstraße) dagegen betreut die kurzfristig Arbeitslosen, die ALG I erhalten. Das sind diejenigen, die im letzten Job mindestens ein Jahr in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. ALG I wird normalerweise bis zu einem Jahr gezahlt, bei älteren Arbeitslosen auch bis zu zwei Jahren. Die Höhe richtet sich nach dem letzten Brutto-Lohn. Sind die ein bis zwei Jahre des Bezuges um und man hat keinen neuen Job, rutscht man automatisch in Hartz IV, also rüber zum Jobcenter. Die Arbeitsagentur zahlt Erwerbslosen also finanzielle Unterstützung, die sie einschränken oder ganz entziehen kann. Zudem ist sie durch den Grundsatz „Fordern und Fördern“ gesetzlich verpflichtet, Arbeitslose so schnell wie möglich in neue Beschäftigungsverhältnisse zu bringen.

Daher muss der Arbeitslose jeden Termin einhalten, jedes Bildungsangebot annehmen und jede „zumutbare“ Arbeit akzeptieren. Doch gerade solche eher schwammigen Begriffe bieten auf der einen Seite Chancen für den Berater / Kunden, öffnen auf der anderen Seite aber auch einer gewissen Willkür Tor und Tür. In den meisten Fällen kann davon ausgegangen werden, dass der Arbeitslose seinen Zustand schnell beenden möchte. Das kann jedoch nachhaltig nur dann gelingen, wenn alle Beteiligten mit dem eingeschlagenen Weg und den Ergebnissen zufrieden sind und nicht durch ungezielte Bewerbungsmarathons, psychischen Druck und ein am Ende möglicherweise belastendes neues Arbeitsverhältnis.

Raus aus der Statistik

Lisa (61 Jahre) hat mehr als eine Ausbildung absolviert, unter anderem als Chemielaborantin. Als sie in diesem Bereich keine Arbeit mehr fand, arbeitete sie einige Jahre lang im Einzelhandel. Der Lohn war niedrig und die Arbeitszeiten erdrückend, Nacht- oder Feiertagszulagen gab es nicht. Davon abgesehen ist Lisa zurückhaltend, keine geborene Verkäuferin. Trotzdem nimmt sie jede „zumutbare“ Stelle an. Als ihr wieder gekündigt wird, ist sie verzweifelt. Die Agentur für Arbeit diktiert die weiteren Schritte: Sollte ihre erneute Arbeitssuchend- Meldung nicht innerhalb der nächsten drei Werktage erfolgen, kann sie mit einer Sperrzeit von einer Woche rechnen. Für diesen Zeitraum würde das Arbeitslosengeld nicht gezahlt. Wendungen wie „Unterlagen schnellstmöglich beschaffen“ oder der wiederkehrende Hinweis, dass nach einem versäumten Termin „mit dem Wegfall der Leistung gerechnet werden muss“ tragen weiterhin nicht zum gewünschten vertrauensvollen Verhältnis bei. Dazu kommt die Pflicht, persönlich an jedem Werktag erreichbar zu sein (meistens früh morgens), mehrere (ungezielte) Bewerbungen pro Woche zu schreiben, Beweise dafür vorzulegen und Eingliederungs-Maßnahmen zu akzeptieren: Bewerbungstrainings, Computerkurse und kaufmännische Fortbildungen. In kürzester Zeit fühlt sich ein Mensch so eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Dass hier oft das Gegenteil des erfolgreichen Bewerbers herauskommt, liegt auf der Hand: In diesem Zustand fällt Lisa ein souveränes Auftreten schwer, der Computerkurs nimmt ihr nicht die Berührungsangst vor dem Rechner und in der Fortbildung sind ihre bisherigen Erfahrungen wertlos. Eine neue Stelle hat sie auf diese Art bisher nicht gefunden: „Ich sollte wahrscheinlich nur für den Zeitraum der Maßnahmen aus der Arbeitslosenstatistik fallen.“

„Wir geben keinen verloren!“

Sabine Asmis, Pressesprecherin der Mainzer Agentur für Arbeit, bestätigt, dass der Verlust der existenzsichernden Stelle ein erschütterndes Erlebnis sei: „Unsere Mitarbeiter werden für den Kundenumgang gezielt geschult.“ Unter der Hand heißt es jedoch, dass viele Agentur-Mitarbeiter selbst in psychischer Betreuung seien. Den Vorwurf, dass die Agentur Zwang ausübe, will Asmis nicht gelten lassen: „Der Kunde muss für die entgegengebrachte Hilfe auch etwas leisten!“ Es müsse schnell gehandelt werden, damit die Arbeitslosigkeit nur eine kurze Episode bleibt. Sie betont vor allem Erfolge: „Etwa ein Drittel aller Betroffenen kann schon in den ersten drei Monaten wieder vermittelt werden.“ Auch die Vorsitzende der Geschäftsführung in Mainz, Heike Strack, äußert sich enthusiastisch: „Wir werden immer wieder von der Zentrale in Nürnberg ermutigt, neue Ideen zur effektiveren Unterstützung vorzulegen. Zusätzlich haben wir weitere Kräfte eingestellt, um jeden Fall besser und schneller bearbeiten zu können.“ Dies sind jedoch oft selbst ehemalige Arbeitslose, zumeist Akademiker, die für ein bis zwei Jahre befristet eingestellt werden, um etwas Berufserfahrung zu sammeln und / oder aus der „Statistik“ zu fallen.

Langfristige Wirkungen?

Viele Maßnahmen haben immerhin einen positiven Ansatz. So kann etwa bei einem zu niedrigen Gehalt eine Aufstockung gezahlt werden. Ein Eingliederungs-Zuschuss soll die Anstellung von Langzeit-Arbeitslosen attraktiver machen und eine Berufsausbildungs-Beihilfe hilft Lehrlingen mit eigenem Haushalt bei der Deckung der Lebenshaltungskosten. Zudem gibt es verschiedene Möglichkeiten der Weiterbildung. Doch was bedeutet diese Praxis für die Arbeitgeber? Nicht selten werden Menschen ohne optimale Ausbildung vermittelt, die wenig kosten. Im Idealfall schafft dies möglicherweise eine neue Stelle. Doch in anderen Fällen freut sich ein weniger idealistisch eingestellter Personalbeauftragter über eine billige Arbeitskraft. Ein Arbeitsplatz kann so schnell als etwas verstanden werden, für das kein Vorwissen benötigt wird und wofür nur wenig Geld aufgebracht werden muss. Und auch Arbeitgeber kennen die Auflage der „zumutbaren Tätigkeit“. Einem Menschen, der keine Wahl hat, kann man eher einen unfairen Vertrag vorlegen. Heike Strack bestreitet solche Zusammenhänge: „Wir überprüfen unsere Partner sehr genau, und wenn uns ein Verstoß gegen die Abmachungen gemeldet wird, reagieren wir umgehend darauf. Missbrauch ist zwar möglich, doch der kann in jedem Bereich vorkommen.“

Es geht auch ohne Druck

Viele Kunden helfen sich am Ende selbst. Und angenehm empfinden Menschen den Kontakt mit der Agentur für Arbeit meistens nur dann, wenn der Berater ihnen Freiraum lässt. So wie bei Sebastian (37 Jahre), der seine Beschäftigung in einer PR-Agentur verlor. Sein Arbeitsleben hatte sich nicht unbedingt geradlinig entwickelt. Nach einer Ausbildung und einigen Jahren Arbeit als Tischler studierte er Soziologie. Nach dem Abschluss war er zunächst froh, in der PR-Branche unterzukommen, doch diese Tätigkeit konnte ihn nicht dauerhaft zufrieden stellen. Vielleicht hätte er in diesem Bereich erneut einen Job finden können, doch er wollte nicht dorthin zurück. Sein Berater hörte sich diesen Lebenslauf an und zeigte Verständnis. Er entschied, dass Sebastian das Bewerbungstraining, das sonst so gut wie jedem Arbeitslosen verordnet wird, nicht braucht. Er billigte ihm einige Monate zu, in denen er keine Belege für eine Stellensuche erbringen musste und die er zur Neuorientierung nutzen durfte, sogar noch als die Hartz IV Phase begann.

So kann eine Gesetzes-Auslegung auch aussehen, doch kommt dies relativ selten vor. Sebastian war dankbar dafür, zumal er Kinder hatte, um die er sich kümmern musste. Er las weiter munter und dieses Mal gezielt Stellenanzeigen, tischlerte für den Hausgebrauch und machte sich Gedanken über sein Potenzial. Schließlich fand er wieder eine Anstellung als Tischler. Sie ist zwar nur befristet, aber das bereitet ihm derzeit keine Sorgen: „Danach wird sich schon etwas Neues finden!“ In der Agentur für Arbeit sieht er eine Institution, die ihm zwar nicht direkt bei der Jobsuche helfen kann, ihm jedoch in einem schwierigen Lebensabschnitt Verständnis und Rückhalt entgegengebracht hat. Die Frage, ob das System gut oder schlecht ist, lässt sich nur schwer beantworten. Zum einen sind Menschen in unserer Gesellschaft sozial abgesichert und haben einen kleinen finanziellen Spielraum bei Arbeitslosigkeit. Zum anderen ist das Verhältnis Kunde – Agentur oft genug unwürdig, weil es tendenziell der (unverschuldeten) Unmündigkeit zuspielt, von der es eigentlich weg will. Doch dies ist generell die Kehrseite von Sozial-Systemen: Wann ist Hilfe auch Hilfe zur Selbsthilfe und wann treibt es den anderen eher weiter in Schwäche, Abhängigkeit und Scham? Für dieses System haben wir uns entschieden und die Zukunft liegt in unseren Händen.