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Affe sucht Liebe – King Rocko Schamoni im Interview


Interview: Olaf Neumann

Das Comeback der Technoband Fraktus aus den 1980er Jahren ist so genial erstunken und erlogen, dass viele darauf reingefallen sind. Der Film „Fraktus“ ist der bisher größte Coup des Anarcho-Trios Studio Braun alias Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Heinz Strunk. Inzwischen ist aus dem Mythos Realität geworden und Fraktus rocken leibhaftig die deutschen Clubs. Olaf Neumann sprach mit Mastermind Rocko Schamoni über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Band, die es eigentlich gar nicht gibt.
Rocko, wie fühlt es sich an, mit einer Band, die es eigentlich gar nicht gibt, auf Tour zu gehen?
Es gibt diesen Film gegen uns. Darin wird behauptet, es gebe die Band nicht. Aber de facto sind wir auf Tour. An dieser Stelle möchte ich diese ganzen Geschichten mal als Lügenmärchen outen.
Haben Sie denn versucht, den Film „Fraktus“ zu verbieten?
Wir haben versucht, mit verschiedenen Anwälten dagegen anzugehen. Aber es war leider zu spät, er war schon im Kino. Glücklicherweise konnten wir nach 60.000 Zuschauern ein ultimatives Kinoverbot erreichen. Andersfalls wären wir weitergegangen.
Aber Sie müssen zugeben, dass Ihnen dieser Film auch genützt hat.
Es gibt diesen alten Spruch: „Jede Werbung ist gute Werbung“. Insofern gab es schon eine ganze Menge Aufmerksamkeit. Aber das Licht war das falsche. Wir wollen das gerne richtig stellen. Deswegen machen wir von Fraktus jetzt einen Film über den Macher dieses Filmes. Darin wird man dann sehen, welche Antworten wir auf diese Provokation haben. Wahrscheinlich wird der Film „Die Rache von Fraktus“ heißen. Wir vermuten, dass danach die eine oder andere Karriere im Filmbereich vorbei sein wird.
Aber die Karriere von Fraktus geht steil nach oben, oder?
Zum jetzigen Zeitpunkt ja. Das ist auch gerechtfertigt nach so einem Sturm, der gegen uns angezettelt wurde. Die Öffentlichkeit räumt uns endlich den Platz ein, den wir damals zu Unrecht verlassen mussten. Im nächsten Jahr wird es ein großes Theaterstück von Fraktus und wie gesagt den nächsten Spielfilm geben.
Wie würden Sie die Bandchemie von Fraktus beschreiben?
Zwischen uns dreien spielt sich nichts ab. Wir fahren mit getrennten Zügen zu den Auftrittsorten und speisen schon seit Jahren nicht mehr am selben Tisch. Die beiden anderen sind eigentlich austauschbar. Ich möchte von ihnen nicht abgelenkt werden bei der Arbeit an der Musik, weil sie extrem alberne Ideen haben. Sie können ganz schlecht auseinanderhalten, was passt und was nicht passt. Ich habe jetzt über Tänzerinnen nachgedacht. Das würde das Projekt ein bisschen ansehnlicher machen.
Von Westbam bis Scooter sind sich ja alle einig – Fraktus haben Techno erfunden. Hat sich eigentlich auch die Band Kraftwerk zu Fraktus geäußert?
Kommt immer drauf an, wen von Kraftwerk man auf Fraktus anspricht. Zwei von den jüngeren Kraftwerkern hatten sich bei uns mal beworben, aber das war am Ende eine Geldfrage. Ansonsten gibt es einen ganz tiefen Respekt von beiden Seiten. Kraftwerk und Fraktus sind immer in einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Wer ist gerade an der Spitze der Technik? Wir sind immer wahnsinnig darauf bedacht, einen Schritt weiter zu gehen und arbeiten auch mit Entwicklern aus der Autoindustrie zusammen. In den letzten zwei Jahren haben wir einige Innovationen erschaffen zusammen mit der Firma Audi. Darüber darf ich aber noch nichts sagen. Entweder kommen die bei uns auf Tournee raus oder im neuen Audi, der im Herbst auf den Markt kommt.
Sind denn Fraktus auch nach heutigen Maßstäben ihrer Zeit voraus?
Wir arbeiten natürlich mit den neuesten Techniken und sind speziell mit dem Medium Internet sehr weit vorgedrungen. Der Begriff „Internet“ sagt Ihnen wahrscheinlich auch was?! Es ist eine Verbindung zwischen Abertausenden Menschen, die in so einem Netzwerk drin sind. Dadurch machen wir unsere Musik mittlerweile bei Fraktus. Das ist der allermodernste Stand der Technik. Gleichzeitig wollen wir mit den modernsten Produzenten zusammen arbeiten.
Sie behaupten, mit Fraktus Techno erfunden zu haben. Was kann Techno, was Rock’n’Roll nicht kann?
Erst einmal haben wir das gar nicht behauptet, das haben andere getan. Und dann haben wir denen aber Recht geben müssen. Bei Technomusik ist für mich persönlich eines entscheidend: Pünktlichkeit. Pünktlich heißt ja auch: auf den Punkt. Dass ein Beat nicht eine hundertstel Sekunde zu früh oder zu spät kommt, sondern immer genau an dem Punkt, wo er auch kommen muss. Und dadurch entsteht beim Publikum ein unglaublicher Eindruck von Pünktlichkeit.
Wie entstehen Fraktus-Songs?
Ich persönlich arbeite meine Songs wie ein Altarbauer aus. Ich brauche für einen Song ein halbes Jahr. Und dabei wird wirklich jeder Buchstabe und jede Note dreimal umgedreht. Bei den beiden anderen ist das nicht so, weil sie musikalisch relativ eingeschränkt sind. Sie kommen nicht von der Musik, sondern quasi von der EDV und können auch mit Text nicht so gut umgehen. Als Chef von der Band helfe ich ihnen aber unheimlich gerne.
Die Mitglieder von Fraktus haben sämtliche Höhen und Tiefen durchlebt. Welche Stimulanzien brauchen Sie heute, um kreativ sein zu können?
Ich habe nie Drogen genommen, aber bis vor ein paar Jahren hatte ich mit Alkohol ein kleineres Problem. Ich habe am Tag bestimmt 10, 15 Alsterwasser getrunken. Das ist natürlich kein richtiges Bier, aber es ist ja Bier drin. Da kann man sich auch was vorlügen, dass es nur Alsterwasser ist. Und die beiden anderen kommen aus reichen Elternhäusern und leben mehr oder weniger von dem, was sie monatlich als alt gewordene Studenten in die Windeln gestopft bekommen. Bei mir sind die Probleme echt, ich habe das alles erlebt. Bei den anderen ist es nur angelesen.
Fraktus-Lieder heißen „Find den Fuchs“ oder „Affe sucht Liebe“. Welche tiefschürfende Botschaft verbirgt sich dahinter?
„Affe sucht Liebe“ ist zum Beispiel meine persönliche Kritik an der Welt. Es ist wahnsinnig viel Kälte und Traurigkeit auf der Welt. Und der Affe steht natürlich für den Menschen. Es ist viel Kritik in den Texten drin. Man kann keine Band anfangen, die politisch anerkannt werden soll, wenn dahinter kein echtes Anliegen steht. Es bringt aber nichts, tagespolitisch oder gegen eine Partei etwas zu machen, weil das in Grönland oder Dänemark schon niemanden was angeht. Deswegen habe ich mir gleich Themenbereiche genommen, die jeder auf der Welt versteht.
Was treibt Fraktus sonst noch an? Machen Sie Musik, um Geld zu verdienen oder um Mädels flach zu legen?
Das Groupie-Ding war bei uns noch nie ein Thema. Ich hatte immer das Gefühl, wenn wir mit dieser Band auftreten und diese ganzen Themen wirklich auf den Punkt bringen, dann können wir der Menschheit ein ganz kleines bisschen weiterhelfen. Das ist nur Musik, ich weiß, und wir sind nur eine Band, aber wenn wir der Weltgeschichte nur einen Millimeter weiterhelfen, dann haben wir schon eine ganze Menge erreicht.
Kommen Ihre hehren Botschaften eigentlich bei den Fans an?
Das spürt man, dass da unheimlich viel Trost drinsteckt für die Leute. Vor unserem T-Shirt- Stand stehen manchmal 20, 30 Leute, die alle am heulen sind. Wir nehmen die dann in den Arm und sagen: „Komm Mädchen, komm Junge, heul nicht. Es muss weitergehen. Fraktus hilft dir dabei!“. Wir haben tatsächlich viele Leute wieder aufgerichtet, die ganz am Ende waren. Die kaufen dann ein T-Shirt und das hilft ja auch uns.
Fraktus-Fans sind also besondere Fans?
Fraktus-Fans sind der Bodensatz im Fanbereich. Das sind die, die anderswo gar nicht mehr in die Hallen reinkommen, weil sie unangenehm aufgefallen oder sozial auffällig sind. Und die nehmen wir alle. Deswegen sind wir auch so eine Art Armenhaus der Popmusik. Ich will es nicht mit dem Christentum vergleichen, aber Jesus hat sich auch um die Armen und Untersten gekümmert.
Wie sperrig und rätselhaft darf Popmusik sein?
Das war in den 1980ern der große Vorteil von Popmusik. Damals hat sie sich nicht so angebiedert und ist nicht jedem Trend gefolgt. Leider ist Popmusik heute nicht mehr frei, weil die Formate im Fernsehen dies unmöglich machen. Es geht heutzutage nur noch um Technik. Ich persönlich finde das langweilig.
Schwingt bei Fraktus auch etwas Nostalgie mit?
Mit Fraktus halten wir keine nostalgischen Fahnen hoch, sondern eine Fahne für das, wie es sein sollte. Als wir das damals gemacht haben, war das der freieste Moment für die Popmusik in Deutschland überhaupt. Jeder konnte alles machen. Heutzutage musst du perfekt singen können über vier Oktaven. Die meisten können da gar nicht mehr mithalten. Und diejenigen, die es können, haben keine künstlerische Vision.
Kulturpessimisten provozieren gern mit der These, die vielen Castingshows im Fernsehen hätten die Popmusik getötet. Woher beziehen Sie in Zeiten wie diesen Ihre Inspiration?
Man muss mit offenen Augen durch die Welt gehen und die Probleme sehen, die die Menschen haben. Liebestexte brauchen wir nicht mehr zu schreiben. Ich würde mit Fraktus gerne einen Service anbieten: „Für jedes Problem, das ihr habt, schreiben wir euch euren Song“. Wenn jemand zum Beispiel seit drei Jahren einen Nachbarschaftsstreit hat, kriegt er den Song von uns und dadurch wird der Konflikt gelöst. Momentan arbeite ich mich an dem ab, was ich in der Zeitung sehe und versuche, mit unserer Musik Länder wie den Iran und den Irak zusammenzubringen. Deren Sprachmöglichkeiten sind in ganz vielen Bereichen endlich. Und dann müssen die Künstler ran.
Wie sollte man sich mental auf eine Show von Fraktus vorbereiten?
Wenn man ein Problem hat, kann man sich überlegen, ob man für die nächsten zwei Jahre drei Mal die Woche zum Psychologen geht oder ob man nur einen einzigen Abend zu Fraktus kommt, sich öffnet und den Haushalt aufgeräumt bekommt.
Wirkt ein Umhänge-Synthie auf der Bühne eigentlich genauso cool wie eine E-Gitarre?
Der Umhänge-Synthie war bei uns immer cool. Wenn die Welt mal eine Zeit lang gesagt hat, er sei nicht mehr cool, hatten wir den Vorteil, dass wir die einzigen waren. Es macht einen natürlich extrem cool, wenn man komplett der Letzte ist, der mit einem Umhänge-Synthie rumläuft. In dem Moment ist man quasi auch wieder der Erste.