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2×5 Interview mit Anna Siegl (Zum Bauwagen)

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bauwagenWas ist das Bauwagen-Projekt?
Der Bauwagen ist ein alter Zirkuswagen und steht an der Planke Nord. Früher war er ein Treff für Kultur und Kunst. Vor ein paar Monaten kam mir die Idee, den Wagen für ein Refugee-Projekt zu nutzen. Ungefähr zur gleichen Zeit hat ein Freund verschiedene Mainzer Flüchtlingsinitiativen an einen Tisch gebracht. Daraus entstand das Aktionsbündnis PlatzDa?!. Gemeinsam mit Refugees haben wir den Bauwagen dann fit gemacht, neu gestrichen und eingerichtet. Nun wird er jeden Mittwoch ab 17 Uhr als Begegnungsplattform genutzt – mit Diskussionsrunden, gemeinsamen Grillabenden, Spielen und kleineren Konzerten. Alles ist denkbar und jeder kann sich einbringen.

Wer ist PlatzDa?
Ein Zusammenschluss verschiedener Initiativen wie der Schnittstelle5, Save Me, Medinetz, dem Bildungsnetzwerk und vielen mehr. Die Idee ist es, Begegnungsräume zu schaffen, die Stadt zu öffnen, Ausgrenzung zu bekämpfen und Inspiration zu sein, für andere, die sich auch engagieren möchten. Wenn man positive Energie bündelt, entstehen gute Dinge wie aus dem Nichts.

Bringen sich auch Flüchtlinge mit ein?
Es ist ein zwangloses Angebot und jeder Mensch, egal welcher Herkunft, kann frei entscheiden, Teil davon zu werden oder nicht. Wir haben in den letzten Wochen etliche Freundschaften schließen können, aber wir gehen nicht davon aus, dass jeder Refugee das Bauwagenprojekt gleichermaßen attraktiv findet. Wir brauchen trotzdem Begegnungsräume, in denen sich Menschen frei bewegen können und in denen keine Ausgrenzung stattfindet. Platzda?! hat beispielsweise das Allianzgebäude in der Großen Bleiche im Auge, das ähnlich wie das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg gestaltet werden könnte.

Arbeitet ihr mit der Stadt zusammen?
Der Bauwagen ist weitestgehend ein unabhängiges Projekt. Platzda?! hatte Ende April eine Aktionswoche auf die Beine gestellt. Schätzungsweise waren über 60 Menschen beteiligt, ohne große Unterstützung der Stadt. Ich hoffe, dass sich das in Zukunft ändert. Denn was das Allianzhaus angeht, braucht es definitiv Unterstützung und Veränderung.

Was sollte sich verändern?
Auch wenn die Stadt einiges macht, gibt es Ecken und Enden, an denen weiter gearbeitet werden muss. Die Unterkünfte für Flüchtlinge sind verbesserungswürdig, nicht nur was die Ausstattung, sondern auch die Mobilität angeht. Was Flüchtlingspolitik betrifft, muss vor allem auf Bundesebene und in der EU angesetzt werden. Das Mittelmeer darf kein Massengrab bleiben. Wir haben Freunde, die übers Mittelmeer gekommen sind. Das holt die Vorstellung, dass dort Menschen sterben, ganz schnell in die Realität – weg von einer Abstraktion.

Mensch

Hattest du schon immer so ein soziales Engagement?
Ich habe 2008 angefangen, bei Medinetz mitzuarbeiten, damals habe ich noch Medizin studiert. Nach sieben Semestern habe ich mich dann entschieden, auf soziale Arbeit zu wechseln. So mache ich gerade das, was mich freut und habe auch noch Zeit für andere Projekte. Netzwerke zu schaffen und Menschen zusammenzubringen hat mir schon immer Spaß gemacht. Im Grunde sehe ich das Bauwagenprojekt nicht als ehrenamtliche Tätigkeit, obwohl es ein Haufen Arbeit ist. Ich möchte gerne in einer Welt leben, die schön ist, ohne Hass und Angst vor dem Fremden. Das fängt bei der eigenen Welt an.

Was sind deine Träume für die Zukunft?
Im sozialen Bereich auch mal Geld zu verdienen und Reisen. Aber auch den Tag genießen zu können. Ich lebe gerne den Moment, vielleicht ist mein Leben deswegen manchmal chaotisch, aber ich mag mein Chaos. Und ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft anfängt, globaler zu denken.

Welche Orte würdest du gerne bereisen?
Meine erste große Reise ging nach Äthiopien – Afrika ist einfach mein Kontinent. Das war er schon in meinen Träumen, als ich klein war. Dort fühle ich mich geerdet. Mosambik und Angola möchte ich bald sehen. Mal schauen, wann der Geldbeutel das hergibt. Ich war auch ein halbes Jahr auf Sansibar und habe dort bei einer Organisation für Waisenkinder gearbeitet. Da habe ich selbst erfahren, was es bedeutet, fremd zu sein. Ich maße mir nicht an, meine Situation mit der eines Flüchtlings zu vergleichen, aber es hat schon eine ganze Weile gedauert, bis ich dort akzeptiert wurde. Das hat mir auch gezeigt, wie schwierig es ist, sich an eine andere Kultur anzupassen und zurechtzukommen.

Was magst du an Mainz und was nicht?
Es gab eine Zeit, da dachte ich, dass ich nicht lange in Mainz bleiben würde – ich war überzeugt, ich bräuchte eine Veränderung. Falsch gedacht. Ich fühle mich unglaublich wohl hier, wegen meiner Freunde und wegen des Engagements und der Offenheit der Menschen, aber auch weil hier manches einfacher als in einer Großstadt ist. Auf der anderen Seite kann das Kleinstadtgefühl mitunter ziemlich anstrengend sein. Natürlich mag ich dann auch an Mainz, was sicherlich jeder mag: Die kurzen Wege und die Rheinpromenade. Die Mietpreise und die damit einhergehende Verdrängung finde ich ziemlich katastrophal. So wie auch den Fluglärm.

Hast du ein Lebensmotto?
Achtung, jetzt wird es wirklich tiefsinnig: Am End ist alles eh so, wie es sein soll. Das betrifft aber eher wirklich private Bereiche meines Lebens.

Interview David Gutsche
Foto  Jana Kay