Das Mainzer „Regierungsviertel“ soll mehr oder weniger komplett umgestaltet werden (wir berichteten). Auch eine Sperrung der Großen Bleiche an dieser Stelle von Bauhof- bis Rheinstraße ist hier möglicherweise vorgesehen. Mehrere Bürgerforen haben dazu Ideen erarbeitet, die nun in 22 Empfehlungen gegossen wurden, die jetzt vom Stadtrat verabschiedet werden sollen. Über allem stehen die 3 Leitsätze:
Geschichte sichtbar machen.
Orte für Gemeinschaft schaffen.
Stadtgrün zukunftsfähig entwickeln.
Geschichte sichtbar machen
Die Mainzer schätzen das Gewordensein ihres Regierungsviertels. Sie wollen keine Gestaltung „aus einem Guss“, sondern schätzen die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeitschichten im Herzen ihrer Stadt. Sie wünschen sich, dass die Dokumente unterschiedlicher
Jahrzehnte und Jahrhunderte besser zur Geltung kommen und wünschen sich gleichzeitig zu erfahren, was im Lauf der Zeit verlorenging. Damit soll sich das Regierungsviertel zu einem Ort der aktiven Geschichtsvermittlung entwickeln. Ein Ort, an dem man sich selbst niedrigschwellig und umfassend durch Informationen im öffentlichen Raum informieren kann, an dem es Institutionen
der Wissensvermittlung gibt und inszenatorische Mittel genutzt werden, um die historischen Elemente des Viertels zu betonen.
Orte für Gemeinschaft schaffen
Das heutige Mainz lebt draußen und zusammen. Die Menschen in der Landeshauptstadt suchen öffentlichen (Frei-)Raum, den sie für sich nutzen können. Gelegenheiten zur Begegnung sollen geschaffen werden und damit ein demokratischer Geist des Austauschs transportiert werden. Dabei ist wichtig, dass das Regierungsviertel mehr ist als ein Arbeitsort von Landtag, Staatskanzlei, Ministerien und Gerichten. Das Regierungsviertel soll auch Treffpunkt aller Bürger werden und durch ansprechende Gestaltung von öffentlichem Freiraum und Grün und attraktive Nutzungsangebote genau dazu einladen.
Stadtgrün zukunftsfähig entwickeln
Die Mainzer, die sich an der Neugestaltung des Regierungsviertels beteiligt haben, wollen zum überwiegenden Teil den Pfad der Klimaneutralität engagiert beschreiten. Sie wünschen sich für ihr Regierungsviertel, dass hier wie in einem Schaufenster deutlich wird, dass Mainz und Rheinland-Pfalz den Klimawandel ernst nehmen und mit Maßnahmen darauf reagieren. Dächer sollen Energie erzeugen oder begrünt werden. Auch Fassaden sollen grüner werden, Bäume erhalten und neu gepflanzt werden und Raum für die dort lebende Tierwelt erweitert werden.
Es folgen Empfehlungen des Forum Regierungsviertel:
1. Empfehlung: Grundsätze
Die drei Leitsätze „Geschichte erlebbar machen“, „Orte für Gemeinschaft schaffen“ und
„Stadtgrün zukunftsfähig entwickeln“ sind gleichrangige Zieldimensionen der Gestaltung des
Regierungsviertels. Planungen müssen sich an diesen drei Zieldimensionen orientieren und jeder
einzelnen soll überzeugend Ausdruck verliehen werden.
2. Empfehlung: Offener Raum
Begrenzungen und Zergliederungen des öffentlichen Raums sollen abgebaut werden. Trennendes
soll so aufgelöst werden, dass ein großer, in sich schlüssiger Freiraum entsteht. Historische und
funktionale Gliederungen sollen erkennbar bleiben.
3. Empfehlung: Schatten, Kühlung und Grün
Grundsätzlich besteht der Wunsch zu einer weitgehenden Entsiegelung von Flächen im
Regierungsviertel. Das Regierungsviertel soll so gestaltet werden, dass es im Sommer viel Schatten
bietet. Auch technische Mittel der Kühlung sind denkbar. Vorhandene Bäume sind grundsätzlich
zu schützen und neue Bäume sind zu pflanzen. In gesamten Gelände sollen dazu Standorte für der
Biodiversität dienliche Bäume so identifiziert werden, dass Sichtachsen auf historische Gebäude
gewahrt oder freigelegt werden. Bepflanzungen sollen so erfolgen, dass keine Angsträume
entstehen. Dächer und Fassaden sollen begrünt werden, sofern dies nicht mit dem Denkmalschutz
im Widerspruch steht. Wasserspender sollen im Regierungsviertel zur Verfügung stehen.
4. Empfehlung: Erreichbarkeit des Rheinufers
Das Regierungsviertel soll sich mit dem Rheinufer verbinden. Dem steht als große Barriere die viel
befahrene Peter-Altmeier-Allee entgegen. Die Planung soll Vorschläge unterbreiten, wie die
niveaugleiche Verbindung von Rheinufer und Regierungsviertel für den Fuß- und Radverkehr
verbessert werden kann.
5. Empfehlung: Ruhige Wohnquartiere
Das Regierungsviertel ist auch Wohngebiet. Die weitere Planung muss daher Rücksicht nehmen
auf das Ruhebedürfnis der direkten Anwohnerinnen und Anwohner. Insbesondere sollte der
Bereich rund um die Mitternacht so gestaltet werden, dass dieser Aufenthaltsqualität nur in
solcher Form bietet, dass dort die Nachtruhe sichergestellt werden kann.
6. Empfehlung: Funktionsachse Schloss – Naturhistorisches-Museum – Dom
Die Achse vom Schloss über das Naturhistorisches-Museum zum Dom soll deutlich aufgewertet
werden und als attraktiver, geschichtsträchtiger Weg gestaltet werden. Hierbei soll auch eine
Aufwertung der Reichklarastraße insbesondere am Zugang zur Flachsmarktstraße mit einbezogen
werden.
7. Empfehlung: Biodiversität
Das Regierungsviertel bietet aufgrund seiner großzügigen Freiräume auch die Möglichkeit, Orte für
die Biodiversität zu schaffen. Dies meint in Verbindung mit der Erhaltung und Pflanzung von
Bäumen auch eine insektenfreundliche Bepflanzung. Besonders wünschenswert ist eine
Kombination von Orten für Tiere und Lernorten für Biodiversität.
8. Empfehlung: Orte für Kultur
Das Regierungsviertel soll ganz unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft eine Heimat bieten.
Dafür sind Angebote der Kultur und Subkultur ein wichtiger Beitrag. Diese Angebote sollten so
ermöglicht werden, dass ein regulärer Geschäftsbetrieb der Anliegerinnen und Anlieger und die
gesetzliche Nachtruhe für die Anwohnerinnen und Anwohner gewährleistet werden kann.
9. Empfehlung: Historische Denkmäler
Die historischen Denkmäler des Regierungsviertels sollen durch Gestaltung des Freiraums besser
zur Geltung kommen. Gleichzeitig sollen inszenatorische Mittel genutzt werden, um alle
vorhandenen Denkmäler sehr viel stärker zu erklären und sichtbar zu machen. Das Kurfürstliche
Schloss ist mit seiner herausragenden Bedeutung in der zukünftigen Nutzung stärker als bisher in
das Umfeld zu integrieren. Das „verlorene“ Erbe, wie die alte Kanzlei, St. Gangolf und die heute
kaum wahrnehmbare Martinsburg sollen wieder sichtbar werden, indem diese öffentlich viel
erlebbarer dokumentiert und herausgehoben werden. Der Wunsch nach Abriss vorhandener
Gebäudestrukturen besteht mehrheitlich nicht in der Stadtgesellschaft. Der Wunsch nach dem
Aufbau neuer Gebäude gab es ebenso wenig. Vielfacher Wunsch ist, die vorhandenen Gebäude
zugänglicher und nutzbarer zu machen.
Insbesondere umstritten in der Stadtgesellschaft ist nur das Werkstattgebäude, das Bestandteil
der geschützten Gesamtanlage ist. Das Gebäude soll erhalten und einer neuen, offenen und
attraktiven Nutzung zugeführt werden.
10. Empfehlung: Jubiläumsbrunnen
Der 1962 errichtete und seit einigen Jahren außer Betrieb genommene, denkmalgeschützte
Jubiläumsbrunnen wird heute von vielen Bürgerinnen und Bürgern sowie Besucherinnen und
Besuchern aufgrund der jahrelangen Vernachlässigung als Ort mit Entwicklungspotenzial erlebt.
Daher ist der Brunnen mit seinen Inschriften in Stand zu setzen, neu zu inszenieren und zu
vermitteln, um die Akzeptanz insgesamt zu erhöhen.
11. Empfehlung Jupitersäule
Die Wiederaufstellung der Jupitersäule auf dem Gelände ist als ein Fokuspunkt des Freiraums
gewünscht und sollte daher im Sinne des Leitsatzes „Geschichte erlebbar machen“ realisiert
werden. Teil dieser Erlebbarkeit ist auch eine angemessene Erläuterung der Darstellungen auf der
Säule. Sie stellt gemeinsam mit dem Dativius-Victor-Bogen ein wertvolles Zeugnis der Antike dar.
12. Empfehlung: Verkehr
Der Raum für den motorisierten Individualverkehr im Regierungsviertel soll deutlich zu Gunsten
von öffentlichen Freiräumen im Sinne der drei Leitsätze reduziert werden. Eine Sperrung der
Großen Bleiche für den individuellen, motorisierten Durchgangsverkehr ist möglich und
gewünscht. Eine dogmatische Entscheidung gegen jedes Auto ist nicht gewollt. Die Zufahrt zu den
Tiefgaragen muss weiterhin möglich bleiben. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, die
insbesondere die Gerichte und öffentliche Einrichtungen barrierefrei erreichen müssen, erfordern
eine Berücksichtigung in der Planung. Das oberirdische Parken im Quartier – insbesondere auf
dem Parkplatz Schloss und auf dem Deutschhausplatz – soll unter Berücksichtigung dieser
Interessen stark reduziert werden. Im weiteren Planungsprozess ist ein Verkehrskonzept zu
erarbeiten, dass auch das Thema der Parkierung beleuchtet und bei Wegfall von Stellplätzen
Alternativen aufzeigt.
13. Empfehlung: ÖPNV
Die Durchwegung des Viertels mit öffentlichen Verkehrsmitteln soll bestehen bleiben. Dabei ist
wichtig, die Barrierewirkung von zukünftigen Bahnsteigen und Haltestellen gering zu halten.
14. Offener Raum um Haltestellen
Um sicherzustellen, dass die Haltestellen für den ÖPNV im Regierungsviertel nicht zu Angsträumen
werden, sollen diese so platziert werden, dass sie in alle Richtungen von offenem Raum umgeben
sind. Insgesamt wirken offene Sichtachsen minimierend auf Angstgefühle.
15. Empfehlung: Durchwegung zu Fuß und mit dem Rad
Das Regierungsviertel soll schlüssig an die umgebenden Stadträume für den Fuß- und Radverkehr
angeschlossen werden, so dass das Regierungsviertel selbstverständlich und hoch frequent von
Fußgängern und Radfahrenden durchquert wird. So soll es zu einer selbstverständlichen Belebung
des Viertels kommen. Im Regierungsviertel sollen Fahrradabstellanlagen in ausreichender Anzahl
am verschiedenen Orten, auch für Lastenfahrräder, errichtet werden.
16. Empfehlung: Gemeinschaftsorte und Verpflegung
Grundsätzlich soll das Regierungsviertel Aufenthaltsqualität mit Sitzgelegenheiten, Treffpunkten
und Überdachungen als Regenschutz bieten. Bei der Schaffung von Gemeinschaftsorten im
Regierungsviertel soll der Gedanke der Inklusion zentrale Bedeutung haben. Das Regierungsviertel
soll zum Ausdruck bringen, dass unsere Gesellschaft niemanden ausgrenzt. Kein Kind mit
Behinderung soll auf einem Spielplatz ausgegrenzt werden, keine mobilitätseingeschränkte
Person und keine Personen mit weniger finanziellen Ressourcen das Regierungsviertel nicht
nutzen können. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zur Schaffung eines sozialen Treffpunktes
mit niedrigpreisigen Angeboten zur Verpflegung als Ergänzung zur vorhandenen Gastronomie, die
Erhaltung konsumfreier Orte, die barrierefreie Gestaltung von Spielanlagen und die Erreichbarkeit
mit dem ÖPNV.
17. Empfehlung: Veranstaltungen
Das Regierungsviertel soll geeigneter Ort für kleine Veranstaltungsformate werden, aber keine
Fläche für Großevents mehr sein. Hieraus ergibt sich die Chance zu einer besseren Gestaltung des
Grünraums, weil es nicht durch Großveranstaltungen zur jährlich wiederkehrenden Zerstörung der
Rasenflächen kommt. Im Regierungsviertel soll auf institutionalisierte Eventflächen verzichtet
werden.
18. Empfehlung: Spielplätze für Kinder
Für Kinder sollen attraktive und barrierefreie Spielmöglichkeiten als zentrale Funktionen auf dem
Gelände entstehen, bei denen Kinder mit und ohne Behinderung ganz selbstverständlich
miteinander und zu jeder Tageszeit spielen können. Begleitpersonen und deren Beteiligung sind in
der Planung zu berücksichtigen.
19. Empfehlung: Treffpunkte für Jugendliche
Jugendliche wünschen sich eigene Treffpunkte auf dem Gelände, die nicht von Kindern genutzt
werden. Dies entspricht dem entwicklungspsychologischen Bedürfnis von Jugendlichen, sich von
Kindern abzugrenzen. Die Jugendlichen suchen die Kombination aus sportlichen
Aktivitätsangeboten und Ruheplätzen mit Holzbänken, da diese nicht heiß werden, in unmittelbarer Nähe zu den Aktivitätsangeboten. Dies entspricht dem Stand der aktuellen
Forschung zu „Jugend-Chillplätzen“ und sollte daher realisiert werden.
20. Empfehlung: Sanitäranlagen, Mülleimer, Pflege
Das Regierungsviertel braucht kostenfreie, barrierefreie öffentliche Toilettenanlagen. Es soll im
Regierungsviertel eine ausreichende Anzahl ausreichend großer Mülleimer mit regelmäßiger
Leerung verfügen. Die gesamte Anlage soll so gestaltet werden, dass ihre dauerhafte Pflege
möglich ist. Dies heißt insbesondere, dass die Bepflanzung in enger Abstimmung mit dem Grünund
Umweltamt der Landeshauptstadt so geplant werden muss, dass die dauerhafte Bewässerung
und Pflege mit Bordmitteln sichergestellt werden kann.
21. Beleuchtung zur Verstärkung des Sicherheitsempfindens optimieren
Zur Vermeidung von Angsträumen ist ein abgestimmtes Beleuchtungskonzept im Regierungsviertel
wichtig. Konkret heißt das, dass sich insbesondere Frauen wünschen, dass in den Bereichen der
Grünanlagen und der offenen Plätze flächendeckend eine atmosphärische Beleuchtung
gewährleistet sein sollte. Nicht nur durch eine Illumination von einzelnen historischen Gebäuden
und Objekten soll sichergestellt werden, dass große Flächen auch nachts überblickbar und damit
unangenehme Überraschungen ausgeschlossen werden können. Ausdrücklich nicht gewünscht ist
die starke Beleuchtung einzelner Punkte an denen man auf dem “Präsentierteller” sitzt und die
man aufgrund des Kontrastes zwischen erhellter und dunkler Umgebung nicht überblicken kann.
Ein nachhaltiges Beleuchtungskonzept, dass die ökologischen Erfordernisse zur Förderung der
Biodiversität berücksichtigt und Aspekte zu einer klimaresilienteren Stadt thematisiert sind im
weiteren Qualifizierungsverfahren bzw. im Freianlagenwettbewerb zu verankern.
22. Barrierefreiheit und Inklusion
Das Regierungsviertel hat eine besondere Bedeutung für Barrierefreiheit und Inklusion.
Umfassende Barrierefreiheit ist innovativ und vorbildlich als Querschnittsthema mit Beteiligung
der Menschen mit Behinderung und ihren Organisationen zu planen und umzusetzen. Alle Orte
und Einrichtungen müssen einfach und selbständig auffindbar, erreichbar und nutzbar sein. Die
vorhandenen Leitsysteme sind miteinander zu verbinden und durch barrierefreie digitale
Informationsangebote zu ergänzen.