Text Nathalie Klemm Illustration dainz.net
„Wir sind nie die totalen Kindernarren gewesen“, erklären Paula und Simon Meier (Namen geändert). Die drei Monate alte Emma liegt neben ihnen und schnauft zufrieden im Schlaf. Lange hat es bis hierher gedauert. Denn Emma ist ein Produkt künstlicher Befruchtung. Im Alter von 36 Jahren wurde Paula Meier mittels einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) schwanger. Damit gilt sie, zusammen mit etwa einem Viertel aller deutschen Mütter, die ab 35 schwanger werden, als späte Mutter.
Während man in den 70ern mit 30 schon als Spätgebärende galt, liegt im Jahr 2013 das durchschnittliche Alter der Mutter beim ersten Kind bei 29. Einen Aufschub der Familiengründung sehen Demografen gerade bei Akademikerinnen. Die akademische Ausbildung als Bremse für die Familiengründung?
Rückblende: Paula und Simon lernen sich im Studium kennen. Er steigt ins Arbeitsleben ein, sie hängt noch eine Dissertation dran. Eine Habilitation schließt sie nicht aus, doch fühlt sie sich von ihrem Chef am Institut nicht gefördert. Bei einer Mitdoktorandin erlebt sie die schwierige Vereinbarkeit von Kindern und Beruf. Nach dem Doktorgrad wechselt Paula in die freie Wirtschaft.
„Es gehört zu uns dazu“
Paula und Simon heiraten. Zwei stabile Jobs, finanzielle Rücklagen, die Familienplanung kann beginnen. Ihr Familiensinn kommt nicht von ungefähr: Paula hat drei Geschwister, Simon einen Bruder. „Vorher habe ich noch hedonistisch mein Geld für Urlaub und Klamotten ausgegeben“, lacht Simon. „Jetzt hat sich bei mir ein Schalter umgelegt.“ Sie wollen nun „zwei, drei oder auch vier Kinder“. Paula setzt die Pille ab. Simon studiert akribisch Kinderwagentests.
„Familiengründungen bewegen sich häufig in einer Zone zwischen planerischer Aktivität und schicksalhaftem Geschehenlassen“ erläutert Diplom-Soziologe Peter Hofmann von der Uni Mainz. „Da gibt es weniger Schwarz und Weiß, als man annimmt. Man setzt die Pille ab und schaut ob’s klappt.“ Wenn es nicht klappt, kann dies zu einer existenziellen Frage werden. Für seine Doktorarbeit interviewt der Soziologe Paare, um herauszufinden, wie sich der Weg in die Elternschaft bei so genannten Kinderwunschbehandlungen vollzieht: Welche Erfahrungen machen Paare, wenn Sexualität und Zeugung reproduktionsmedizinisch entkoppelt werden? Wie wird mit abstrakten Erfolgswahrscheinlichkeiten umgegangen?
„Das Zeitfenster schloss sich“
Doch bei Paula und Simon klappt es zunächst auf natürlichem Wege – bis sie in der 10. Woche eine Fehlgeburt erlebt. Weitere zwei Jahre vergehen. Die Ursachensuche führt ins Kinderwunschzentrum im Fort- Malakoff-Park in Mainz. Ein Grund wird nicht gefunden. „Mit den Tests und Überprüfungen ging ein weiteres Jahr ins Land. Das Zeitfenster schloss sich immer mehr“, sagt Paula. Ein Satz, den sie häufiger ausspricht. „Als Frau zwischen 30 und 40 musst du wissen, ob du jetzt Kinder kriegst. Ein Mann kann sich mit der Frage Zeit lassen, bis er 50 ist.“
Damals fragte sie sich: „Bereut man nicht immer im Leben die Dinge, die man nicht probiert hat?“ Der Arzt schlug vor: „Wenn sie jetzt mit guten Chancen ein Kind kriegen wollen, dann können wir direkt mit der IVF beginnen.“ Simon war erst ungeduldig, dann verärgert. „Ich dachte, wir starten vielleicht mit der Insemination in die Gebärmutter, das ist ja wenigstens noch halbnatürlich.“ Doch die Kasse bezuschusst nur zwei Versuche.
So beginnen die Meiers direkt mit der erfolgversprechenderen IVF-Methode. Bei einer IVF verschmelzen Samen und Eizelle statt im Eileiter unter medizinisch kontrollierten Bedingungen in einem Reagenzglas. Dass die Behandlung teuer würde, hatten beide einkalkuliert. Im Kinderwunschzentrum lagen Flyer mit verschiedenen Finanzierungen aus. Eine Angestellte ist eigens für die Gutachten an die Versicherungen da. So wie viele Paare in ihrer Situation fühlten sich die Meiers als Spielball der Krankenkassen. Die Kosten im fünfstelligen Bereich stemmen sie dank ihrer Ersparnisse, aber nicht ohne eine Finanzspritze der Eltern. „Wir haben Freunde, die haben es fünfmal erfolglos versucht. Die sind jetzt kinderlos und pleite“, erklärt Simon das Risiko.
„Vollgepumpt mit Hormonen“
Ein erster Versuch wird gestartet. Elf Eizellen, die mit hormoneller Stimulierung herangereift sind, werden Paula unter Vollnarkose entnommen. Seine Samenspende wird in vitro hinzugefügt. Bei neun der elf gelingt die Befruchtung. Drei werden kältekonserviert für eventuelle spätere Versuche, sechs reifen in den nächsten Tagen zum Acht-Zell- Stadium heran. Zwei davon werden Paula eingesetzt. Für ihre Behandlung muss sie immer wieder ins Kinderwunschzentrum.
„Ich war im Skiurlaub, als ich den Anruf bekam“, erinnert sich Simon. Paulas Monatsregel hatte eingesetzt. Der Schock sitzt bei beiden tief. Eine Adoption hatten sie zu dem Zeitpunkt gründlich durchdacht – und verworfen. „Das wäre natürlich sinnvoller, aber auch schwierig“, sagt Simon, der beruflich mit Kindern aus problematischen Verhältnissen zu tun hat. Er befürchtete, seine anstrengende pädagogische Arbeit auch zu Hause fortführen zu müssen. Doch da sind noch die drei konservierten Eizellen. Paula lässt sich alle drei einsetzen. Zwei nisten sich in die Gebärmutter ein, eine davon entwickelt sich gesund.
Simon erlaubt sich zuerst keine Freude: „Ich hab’ der Schwangerschaft keinen Millimeter über den Weg getraut. Du stellst dein Leben darauf ein, programmierst dich auf einen neuen Lebensplan, und dann wirst du wieder raus gerissen.“ Nach etwa fünf Monaten weicht seine Vorsicht einer gewissen Freude. Wenn man Häufigkeit und Prozedere zum Maßstab macht, mutet eine künstliche Befruchtung fast natürlich an. Laut deutschem IVF-Register kam es 2013 zu über 10.000 erfolgreichen Geburten dank künstlicher Befruchtung. Auch die Meiers haben den Eindruck, dass das Phänomen häufig ist und nicht künstlich. Auch ihre Schwester hat eine Insemination durchführen lassen. Bei einer Cousine von ihr hat es gleich dreimal hintereinander mit einer IVFBehandlung geklappt. Freunde und Bekannte haben ähnliche Erfahrungen. Simon hat zwei seiner Kollegen im Kinderwunschzentrum getroffen.
Wir sind nicht: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Kind“
Warum hat die künstliche Befruchtung dann häufig ein schlechtes soziales Standing? „Es ist eine soziale Norm, dass sich Kinderkriegen im Privaten vollziehen soll und keine medizinische Leistung sein soll.“ Die Paare wüssten hier aber sehr genau zu trennen. „Zeugung ist eben nicht nur ein biologischer, sondern auch ein symbolischer Akt, der vor allem in der Intimkommunikation des Paares stattfindet“, so Soziologe Hofmann.
Das aktuelle Schlagwort Social Freezing, also das Konservieren der Eizelle für einen späteren Lebensabschnitt, heizt die Debatte an. Außerdem sei das Thema künstliche Befruchtung für viele mit einem Tabu belegt, so Hofmann. Dass viele Paare eine Kinderwunschbehandlung gegenüber Freunden und Verwandten geheim halten, ist daher gut nachvollziehbar:
„Der Druck von außen kann bei Paaren entsprechenden Alters immens sein“, so Hofmann. Was er „soziales Schwängern“ nennt, sind die Nachfragen der Eltern, die sich einen Enkel wünschen. Oder die Freunde, die fragen: Na, wann ist es bei euch so weit? Bei einer Kinderwunschbehandlung sei dieser Druck ungleich höher. „Zusätzlich muss im Fall, dass es nicht klappt, die Enttäuschung geteilt werden“, so Hofmann.
Aber auch die Medien brächten Kinderwunsch-Paare in Bedrängnis. Der Soziologe gibt zu bedenken: „Schon Titel in Frauenzeitschriften wie ‚Wie weit geht man für ein Kind?’ eröffnen einen Legitimierungsdiskurs und drängen Paare in die Rechtfertigungsrolle.“ Hinzu kommen weltweit medial ausgeschlachtete Irritationsfälle wie etwa jener der Spanierin, die mit 67 Jahren Zwillinge austrug und zwei Jahre nach der Geburt verstarb.
„Wie man es macht, ist es verkehrt“, resümiert Paula. „Entweder man ist kinderlos und deprimiert oder man ist die karrieregeile Tante mit Design- Familie. Aber wir sind nicht: Mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Kind.“ Und Simon fügt hinzu: „Wir wollten auch nicht wissen, ob die Chromosomen einen Schaden haben. Wir hätten für das Kind immer eingestanden.“ Und wenn Paula doch habilitiert hätte? „Dann wäre aus dem Kinderkriegen vielleicht nichts geworden“, überlegt sie und Simon ergänzt: „Aber da wäre immer ein schwarzer Fleck gewesen.“ Ein Geschwisterchen für Emma ist für das nächste Jahr geplant.