Von Lea Sophie Preußer
Illustration Hendrik Schneider
Manchmal lasse ich mich einfach treiben. Planlos durch die Straßen zu flanieren und spontanen Eingebungen zu folgen gibt mir ein Gefühl von Bestimmung. Es wird passieren, was passieren soll, sage ich mir. Dieses Mal jedoch mit leichten Einschränkungen … denn ich MUSS jemand neues kennen lernen. So lautet meine Mission. Und das ist nicht so einfach. Wann geht man schon mal auf wildfremde Menschen zu, nur um ihre Bekanntschaft zu machen?
Die meisten halten einen dann entweder für geistesgestört, oder man kommt leicht auf die sexuelle Schiene, zumindest jedenfalls ins Flirten. Wie also vorgehen? Zuerst einmal Menschen beobachten: Ich schaue mir jeden genau an. Könnte er oder sie kontaktfreudig sein? Haben wir vielleicht etwas gemeinsam? Ich könnte nach der Uhrzeit fragen oder nach dem Weg? Egal, erst einmal an die Uni fahren, da kenne ich mich aus, kann die Leute besser einschätzen. Zufällig treffe ich am Kiosk eine Kommilitonin. Ich habe („glücklicherweise“) noch nie mit ihr gesprochen, denn sie ist eigentlich nicht mein „Typ“. Ich glaube weder, dass wir viel gemeinsam haben, noch, dass eine Freundschaft entstehen könnte. Aber heute suche ich auch nicht nach Freunden, sondern nach neuen Kontakten: „Hey wir kennen uns, oder? Seminar beim Schneider?“ Das Eis ist gebrochen. Ich frag sie nach Standardthemen – Small-Talk eben – ihren Semesterferien, Hausarbeiten und auch nicht unwichtig: ihr Name. Sie heißt Tamara und fragt mich plötzlich, ob wir einen Kaffee trinken wollen. Warum nicht? …
Soziale Kontakte sammeln wie Briefmarken
Viele Menschen haben Schwierigkeiten, andere kennen zu lernen. Ich habe mich bisher nicht dazu gezählt. Trotzdem frage ich mich in den letzten Tagen, ob ich nicht doch zu engstirnig und oberflächlich bin. Wie oft habe ich schon auf Kontaktversuche distanziert und abweisend reagiert?
Ich teste weiter während einer Busfahrt, grüße wahllos Menschen und frage Sie, wie es Ihnen geht. Ältere reagieren zumeist sehr offen und herzlich, wenig prätentiös, manchmal schon so „anhänglich“, dass man sie kaum wieder los wird. Verschreckt reagieren eher die jüngeren, die plötzlich vielbeschäftigt auf ihren Handys tippen. Manche Gruppen von Menschen lerne ich schnell kennen, etwa Kurt, den Taxifahrer, oder Menschen in Wartezimmern. Bei meiner Frauenärztin und zwei Dozenten konnte ich gleich drei soziale Kontakte „abstauben“.
Irgendwen lernt man immer kennen
Glücklicherweise gab es auch Tage, an denen ich nicht um 23 Uhr 49 noch in ein Taxi springen musste, Tage, an denen ich ganz natürlich neue Menschen kennen lernte. In solchen Momenten wird einem der Wert von Kontakten erst wieder so richtig bewusst. Und Qualität geht dann über Quantität. Was man von sozialen Netzwerken wie Facebook nicht gerade behaupten kann – macht das Sinn? Gestern habe ich dort nochmal schnell jemanden geaddet. Ich hoffe, das zählt. Mit Tamara habe ich mich übrigens noch öfter getroffen. Ohne dieses Experiment wäre mir da ein toller und interessanter Mensch durch die Lappen gegangen.