
Wie arbeiten Archäologen mitten in Mainz, und welche Funde schlummern unter unseren Straßen? Die neue Leiterin der Außenstelle der Landesarchäologie erzählt von spannenden Entdeckungen, digitalen Projekten und ihrer persönlichen Leidenschaft für Geschichte und ferne Kulturen. Ein Gespräch über Mauern, Terra X – und die Verbindung zwischen Weinbau und Archäologie.
Beruf
Warum gibt es eigentlich eine Außenstelle der Landesarchäologie in Mainz?
Die Landesarchäologie ist Teil der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz. Sie ist in vier regionale Außenstellen unterteilt: Koblenz, Trier, Speyer und Mainz. Diese richten sich nach den historischen Regierungsbezirken. Die Außenstelle Mainz ist u.a. zuständig für die Städte Mainz und Worms sowie die Landkreise Mainz-Bingen, Alzey-Worms und Bad Kreuznach. Sie treten in große Fußstapfen.
Wie war der Übergang von Frau Witteyer zu Ihnen?
Ich kannte Frau Witteyer schon vorher als Kollegin, damals war ich in der Außenstelle Trier. Der Übergang war sehr kollegial und auf Augenhöhe. Gleichzeitig war klar, dass ich eigene Akzente setzen werde. Frau Witteyer engagiert sich auch weiterhin ehrenamtlich bei uns in der Forschung.
Was gibt es aktuell an spannenden Projekten oder neuen Funden in Mainz?
Im Bereich der Binger Straße, in dem sich derzeit die Straßenbahnbauarbeiten bewegen, haben wir angeschnittene historische Mauern und Überreste der Mainzer Stadtbefestigung entdeckt: Der Verbindungswall führte einst zum Münstertor, das 1664 errichtet und 1877 abgebrochen wurde. In der Großen Langgasse (Wohnbau-Projekt) treffen wir auf die Reste der ältesten Kulturschichten der ehemaligen Klosteranlage des Augustinerordens. Grundsätzlich sind wir mit zeitnahen Veröffentlichungen eher zurückhaltend, um Raubgrabungen an solch sensiblen Fundorten zu verhindern.
Wie laufen Ausgrabungen organisatorisch ab?
Wir bemühen uns, frühzeitig in den Bauablauf eingebunden zu sein. Ziel ist, archäologische Maßnahmen so einzuplanen, dass sie Bauvorhaben nicht verzögern. Bei Projekten wie TRON hat das gut funktioniert – durch enge Abstimmung mit den Bauherren konnten Kompromisse gefunden werden. Neben der GDKE sind aber auch städtische Behörden, Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Ehrenamtliche und Gästeführer wichtige Partner. Dazu gibt es in Mainz eigene Depots der Landesarchäologie, die genauen Standorte werden aus Sicherheitsgründen aber nicht veröffentlicht.
Gibt es ein digitales Projekt zur Sichtbarmachung archäologischer Erkenntnisse?
Ja, es gibt viele Ideen, zum Beispiel digitale Karten oder Online- Zusammenführungen verschiedener Archive. Ein Pilotprojekt ist das Archäologische Stadtkataster Trier. Ziel ist, Daten aus verschiedenen Archiven – auch städtischen – zu verknüpfen. Das wäre ein echter Fortschritt für die archäologische Forschung. Wichtig ist auch die genaue Einbindung historischer Karten und die Verortung von Altgrabungen in heutige Vermessungssysteme, etwa mit Hilfe alter Kataster oder Häuserbücher.
Mensch
Woher stammen Sie ursprünglich?
Ich bin eine gebürtige Winzertochter aus dem Badischen, aus einem kleinen Ort in der Nähe von Baden-Baden. Dort bin ich auch zur Schule gegangen und hatte dann den Wunsch, in Kanada Archäologie zu studieren. Ich war in Kontakt mit Universitäten, habe mir auch Standorte angeschaut und mich mit den Studieninhalten beschäftigt. Letztlich bin ich aber aus pragmatischen Gründen – vor allem wegen der Kosten und der inhaltlichen Ausrichtung – zurück nach Deutschland gegangen und habe mein Studium in München begonnen. Danach war ich in verschiedenen Forschungsprojekten tätig. Parallel habe ich in Salzburg einen zweiten Master in angewandter Geoinformatik begonnen. Später war ich auch in Heidelberg, Göttingen und München an Projekten beteiligt – unter anderem in der Vorderasiatischen Archäologie im Kaukasus. 2017 habe ich mich dann auf die ausgeschriebene Stelle als Gebiets- und Fachreferentin für Vorgeschichte bei der GDKE beworben – und sie bekommen.
Gab es schon früh ein Interesse für Archäologie?
Ja, als Kind habe ich regelmäßig Terra X oder Schliemanns Erben geschaut – wir hatten nur drei Fernsehprogramme, und das war sonntagabends Pflicht. In der vierten Klasse habe ich dann im Deutschunterricht das Wort „Archäologie“ kennengelernt und meine Mutter gefragt, was das ist. Sie erklärte mir: „Das ist das, was du immer im Fernsehen guckst.“ Ab da war klar: Das möchte ich machen. Dazu haben meine Eltern meiner Schwester und mir immer den Raum gelassen, das zu machen, was uns interessiert.
Sie haben einmal gesagt, Sie passen in keine Schublade. Was meinen Sie damit?
Mein Werdegang ist sehr breit: Ich bin keine Spezialistin für nur ein Thema, sondern interessiere mich für die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Landschaft – über Zeiten und Räume hinweg. Was macht einen Ort siedlungsfähig? Welche Ressourcen gab es, wie wurden sie genutzt und wie hat der Mensch wiederum die Landschaft verändert? Das sind Fragen, die mich antreiben – von der Steinzeit bis zur Bronzezeit oder im Vorderen Orient.
Sehen Sie Parallelen zwischen Weinbau und Archäologie?
Ja, auf jeden Fall. Beide Berufe haben mit Erde zu tun, mit graben, mit Geduld – und beide wurzeln stark in Tradition und Herkunft. Als ich nach Jahren wieder in eine Weinregion kam, war das ein sehr sinnliches Erlebnis – man riecht die Region quasi wieder. Allerdings wohne ich aktuell in Trier. Mein Lebensgefährte arbeitet dort als Juniorprofessor für Provinzialrömische Archäologie.
Haben Sie neben der Archäologie noch andere Hobbys?
Reisen. Ich habe eine persönliche Bucket List mit Kulturen und Regionen, die ich sehen möchte – bevorzugt individuell, abseits der Touristenrouten. Ich war z. B. bei den Maya unterwegs oder in Neuseeland, wo wir mit einem Maori-Clanchef über Bestattungsriten sprachen – ein sehr respektvolles, offenes Gespräch. Mich interessieren Kulturen mit ausgeprägten religiösen und gesellschaftlichen Strukturen – Inka, Maya, Polynesien, Papua-Neuguinea. Dort gibt es teilweise Analogien zur europäischen Frühgeschichte. Ich war auch in Japan und Kambodscha, das war ebenfalls sehr beeindruckend.
Interview: David Gutsche
Foto: Jana Kay