Interview David Gutsche Foto Jana Kay
Harald Martenstein (61)
Autor und Kolumnist
„Die Zeit“, „Tagesspiegel“, „radio eins“
Beruf
Herr Martenstein, in Ihrem neuen Buch „Die neuen Leiden des alten M.“ sind viele Ihrer zeit-Kolumnen der letzten zwei Jahre gesammelt. Welches ist Ihr größtes Leiden?
Am liebsten beschäftige ich mich in letzter Zeit mit politischer Korrektheit, mit Bildungsreformen und mit Gender-Politik. Also mit Themen, die in den letzten Jahren stark aufgekommen und für eine humorvolle Behandlung extrem dankbar sind.
Ist Ihre Aufregung dabei echt?
In meinen Kolumnen bin ich immer etwas aufgeregter, als ich es in Wirklichkeit bin. Aber ich brauche schon ein Quantum echtes Adrenalin, um in Schwung zu kommen. Und wenn man etwas schreibt, muss man eine Position vertreten. Auch wenn sich Leute darüber aufregen. Wenn man keinerlei Widerspruch hören möchte, bleibt man besser im Allgemeinen und lässt sich auf nichts festlegen. Das ist dann natürlich ein bisschen langweilig.
Wie kommt es zu dieser ganzen politischen Korrektheit in unserer Gesellschaft?
Ausgang ist der Wunsch, andere Menschen nicht zu verletzen und allen gleiche Chancen einzuräumen, was ich unterstütze. Aber auch ehrenwerte Ideen haben manchmal die Eigenschaft, ins Absurde und Aberwitzige abzugleiten, wenn man es übertreibt. Die eigentlich schöne Idee des Sozialismus hat zum Beispiel zu Straflagern und Hinrichtungen geführt. Jede ehrenwerte Idee kann in den Wahnsinn führen. Ich glaube, ganz allgemein, dass wir unser Zusammenleben nicht durch immer mehr Regeln und Verbote verkomplizieren sollten. Viele Dinge kann man einfach durch Höflichkeit und Freundlichkeit regeln. Man braucht nicht für alles im Leben Vorschriften. Nettsein reicht.
Sie unterrichten mittlerweile selbst Studenten im Schreiben. Hat sich dadurch Ihre Sicht auf das Schreiben verändert?
Ja. Früher hab ich an die „Talent-Theorie“ geglaubt. Inzwischen weiß ich, dass es beim Schreiben Mechanismen gibt, die sich lehren und lernen lassen. Wenn ich unterrichte und meine Schüler schreiben einen Text, der im Plenum kritisiert wird, ist ihr zweiter Text in der zweiten Runde meistens besser. Das heißt, es lässt sich Verschiedenes lernen, trotzdem spielt natürlich auch Talent eine Rolle. Aber Talent genügt nicht. Wer weder Fleiß mitbringt noch die Fähigkeit, auf Kritik zu reagieren, muss scheitern. Und jeder muss seinen eigenen Ton finden, einen eigenen Sound. Wie in der Musik.
Was ist das Gute an Ihrem Job und was nervt?
Meine Kolumnen werden gelesen und es gibt Zuspruch. Ich hätte mir Anfang der 70er, als freier Mitarbeiter beim Wiesbadener Tagblatt, nicht träumen lassen, dass ich mal bei der „Zeit“ arbeite. 30 Jahre hat es allerdings gedauert, bis es so weit war … Jeder Job bringt aber auch Stress und Verdruss mit sich. Ich habe nicht den irren Gedanken im Kopf, dass mein Beruf mir immer Spaß machen müsste. Ich glaube, es gibt überhaupt keinen Beruf, der immer nur Spaß macht.
Mensch
Sind Sie noch ab und an in Mainz? Wie viel Mainzer steckt in Ihnen?
Ich sehe mich schon noch als Mainzer. Ich bin auch oft da, weil meine Mutter – auch Mainzerin – und mein Bruder in Wiesbaden leben. Wenn es eine Chance für mich gibt, nach Mainz zu kommen, dann nutze ich die immer. Ich war ja auf dem Rabanus-Maurus-Gymnasium in Mainz und habe in Mainz auch eine Weile studiert, alles Mögliche, Ethnologie, Afrikanistik, Pädagogik, Geschichte und Romanistik. Danach habe ich für ein Jahr in Frankreich gelebt und dann in Freiburg fertig studiert. Da habe ich für die „Badische Zeitung“ geschrieben und war Korrespondent der „Stuttgarter Zeitung“ in Freiburg. Dann ging ich zum „Tagesspiegel“ in Berlin…
Sie sind Vater eines Sohnes und gehen zusammen einmal im Jahr auf Wandertour. Wo geht es meistens hin?
In diesem Jahr haben wir es nicht machen können. Mein Sohn studiert gerade und ich habe gerade noch einen zweiten Sohn bekommen. Aber sonst wandern wir überall in der Welt oder fahren Rad. Beim Wandern kann ich sehr gut nachdenken. Es ist die beste Art, sich Landschaften und Städte zu erschließen.
Haben Sie kein Problem mit einer späten Vaterschaft? Wieso sollte ich? Wir sind übrigens beide späte Eltern. Ein medizinisches Wunder! Die Natur oder Gott, einer von beiden wollte das unbedingt.
Was lesen Sie selbst gerne für Sachen? Ich habe einige Lieblingsautoren, Michel Houellebecq, Haruki Murakami, David Vann, Richard Yates … Aktuell lese ich „Der Distelfink“ von Donna Tartt. Davor habe ich wieder mal Stephen King gelesen, der ist ein Großmeister im Bau von Plots. Ich selbst habe ja auch zwei Romane geschrieben. Sowohl als Leser wie auch als Schreiber bin ich kein Freund des so genannten „Sprachkunstwerkes“. Ich brauche eine starke Geschichte.
Haben Sie ein Lebensmotto? So etwas braucht man nicht. Jede Situation verdient ihr eigenes Motto.