Direkt zum Inhalt wechseln
|

Erfinder der „Heute Show“ wird neuer „Mainzer unterhaus“-Chef

Aus der Allgemeinen Zeitung von Michael Jacobs:

Vom Vordenker der ZDF-Kabarett-Kaderschmiede an die Spitze der führenden Kleinkunstbühne der Republik, auf deren Brettern er vor zehn Jahren selbst mit seinem Programm „Germanys next Brummschädel“ Offenbarungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens karikierte: Stephan Denzer, Leiter der Abteilung Kabarett und Comedy des Zweiten, wird neuer Unterhaus-Chef.
Die Findungskommission des Stiftungsrates unter dem Vorsitz von Alt-OB Jens Beutel hat sich einstimmig für den 51-Jährigen entschieden, der ab dem 1. Juli 2019 das ehrwürdige Forumtheater mit neuen Ideen in die Zukunft führen soll. Dass es Denzer daran nicht mangelt, hat er als Erfinder von satirischen Leuchtturmformaten wie der „Heute-Show“ oder „Die Anstalt“, die alle bedeutenden Fernsehpreise abgeräumt haben, nachhaltig bewiesen.

Fünf Kandidaten standen in der Endrunde für die Nachfolge von Ewald Dietrich, der im Mai nach 15 Jahren altersbedingt seinen Rückzug als Geschäftsführer angekündigt hatte, zur Debatte. Die Entscheidung für den „Onkel Lustig“, wie der Teamplayer Denzer liebe- und respektvoll von seinen Mitarbeitern genannt wird, dürfte nicht schwer gefallen sein. Am vergangenen Freitag hat er seinen Vertrag unterzeichnet, am Montag den ZDF-Kollegen den bevorstehenden Wechsel vom Lerchenberg in die Kleinkunst-Katakomben an der Münsterstraße bekannt gegeben.

Der Sender verliert damit einen seiner kreativsten Köpfe, der dem auf dem Felde der Satire lange brach liegenden ZDF mit kabarettistischen Innovationsschüben nicht nur quotenträchtige Vorzeigeproduktionen bescherte, sondern auch jüngere Zuschauerschichten für den „Seniorensender“ erschließen konnte. Dabei ist Denzer, der Musik und Germanistik in Mainz studierte und auch in der Gutenbergstadt lebt, durchaus eine Doppelbegabung. Er produziert nicht nur bissig-aufklärerische Unterhaltung mit journalistischem Anspruch, sondern belegte neben seinen verschiedenen Funktionen als Redakteur, Referent und Teamleiter bei Arte und dem ZDF nach Feierabend Comedy-Workshops, die in eigene Programme, wenn auch mit überschaubarem Erfolg, mündeten.

2006 bekommt er den Auftrag – nach der Absetzung von Dieter Hildebrandts „Notizen aus der Provinz“ 1979 – Kabarett und Satire mit frisch-frechen Formaten wieder salonfähig zu machen. 2008 geht „Neues aus der Anstalt“ mit den Unterhaus-Heroen Urban Priol, Georg Schramm und Frank Markus Barwasser (Pelzig) auf Sendung. Innerhalb von nur fünf Monaten wird 2009 die „Heute-Show““ mit Anchorman Oliver Welke geboren. Ein Jahr später haben Denzer und sein Team den Grimme-Preis in der Tasche. Neue Comedy- und Satireformate gegen die oft sperrigen ZDF-Hierarchien durchzuboxen – seit 2016 leitet Denzer auch die Comedy und Kabarettprogramme von 3sat und ZDFneo („Neo Magazin Royale“) – erfordert Energie und Gelassenheit gleichermaßen. Der 1967 in einem kleinen Dorf bei Kaiserslautern geborene designierte Ober-Unterhäusler findet die innere Balance bei Power-Yoga.

Bis Juli 2019 wird Dietrich die Kleinkunstbühne noch kommissarisch leiten, um den „Neuen“ zusammen mit Programmplanerin Ute Nebel, die maßgeblich das inhaltliche Profil des Hauses über Jahrzehnte geprägt hat, in seine künftige Wirkungsstätte und ihre Entfaltungsspielräume einzuarbeiten. Denzer wird als künstlerischer und kaufmännischer Geschäftsführer sowohl für die Programmgestaltung als auch für das wirtschaftliche Gedeihen des Kabarett-Flaggschiffs verantwortlich sein.

Schwieriger Abschied vom ZDF
Nicht nur wegen seiner früheren Comedy-Auftritte fühle er eine tiefe Verbundenheit mit dem Unterhaus, erzählt Stephan Denzer. Dennoch sei das Loslassen seines Leitungspostens beim ZDF, wo er viel bewegen konnte, eine der schwersten Entscheidungen seines Lebens gewesen. „Ich habe innig geliebt, was ich getan habe und bin dem Sender unheimlich dankbar“, sagt Denzer. Der Abschied von seinem 15-köpfigen „tollen Team“, das sich immer mit großem Spaß in die Arbeit gestürzt habe, falle nicht leicht. Nach all dem Erreichten sei es jetzt Zeit für eine neue Aufgabe. Die Chance, eigenverantwortlich die Kleinkunst-Paradebühne des Landes für die dritte Generation weiterzuentwickeln, habe ihn gereizt, sagt Denzer. Auch wenn sich der künftige Programmentwickler zum jetzigen Zeitpunkt über seine Ideen und Visionen in Zeiten von Internet und Youtube bedeckt hält. „Ich wäre zufrieden, wenn ich in den nächsten zehn Jahren einen ähnlich neuen Schwung ins Unterhaus wie ins ZDF bringen könnte“.

Er habe einen Riesenrespekt vor dieser Aufgabe, zu der nicht wenig Idealismus gehört. Vielleicht gelinge es, wieder einen Funken der Aufbruchsstimmung der 68er zu erzeugen, aus der das Unterhaus erwachsen ist. Als ein Theater, an dem junge Talente reifen, und das kollektive kabarettistische Erlebnisse bietet, die die Medien nicht liefern: Ein progressiver Ort, an dem die Menschen gemeinsam lachen können.

ZUR PERSON
Stephan Denzer, geboren am 2. August 1967, arbeitete seit 1994 in verschiedenen Funktionen bei Arte und dem ZDF. 2008 übernahm er in der Hauptredaktion Show die Teamleitung des Bereiches Kabarett und Comedy, ab 2016 zusätzlich die Redaktionsleitung für Sitcoms in ZDF und ZDFneo. Denzer initiierte und betreute unter anderen „Die Anstalt“, die „Heute-Show“, „Leute, Leute“, „Pelzig hält sich“, „Ellerbeck“ oder „Sketch History“. Die „Heute-Show“ erhielt neben dem Grimme-Preis mehrmals den Deutschen Comedypreis und den Deutschen Fernsehpreis.

Foto: zdf / Carmen Sauerbrei